Shen Qingqiu war eine gelassene Person.
Seitdem sich seine Wohnadresse zum 'Der stolze Weg des unsterblichen Dämons' geändert hatte und er in seiner Originalwelt den Löffel abgegeben hatte, dachte er, er könnte genauso gut hier sein Glück versuchen, um die Dinge zum Laufen zu bringen.
Er war in der Kultivierungswelt angekommen. Er hatte einfach so einen Körper mit anständigen Kampf- und Schwertkunstfähigkeiten erhalten und er war ein Mitglied einer berühmten und rechtschaffenen Sekte. Wenn er aufstehen wollte, konnte er aufstehen. Wenn er liegen bleiben wollte, so konnte er das tun und sich dabei in der Cang Qiong Bergsekte auf dem Qing Jing Gipfel verkriechen und dort wie ein Einsiedler leben. Was gab es daran auszusetzen?
Die einzige etwas schwierige Sache würde die sein, eine Freundin zu finden. In dieser Art von männlicher Machtphantasie- und Hengstroman, in dem zwangsläufig jede Frau zur männlichen Hauptrolle gehörte, solange sie nicht hässlich war, würde es schwierig sein, die Richtige zu finden. Jeder wusste das.
Dennoch war Shen Qingqiu ein Mann mit wenigen Bedürfnissen. Er wäre einfach damit zufrieden gewesen, es bis ins hohe Alter zu treiben. Auf diese Weise würde es sich nicht großartig von seinem bisherigen Leben unterscheiden.
Obwohl Luo Binghe ein Faktor war, war es richtig, sich einen Namen zu machen. Wenn Shen Qingqiu irgendwo in der Nähe der Umgebung des Originalwerks blieb, oder wenn er ein nicht existierendes Paradies fand, in das er sich zurückziehen konnte, würde er dort keine Ruhe finden, denn sobald Luo Binghe die Macht
an sich reißen würde, wäre er in der Lage, Shen Qingqiu in einen menschlichen Stock zu verwandeln.
„Es ist ja nicht so, dass ich mich nicht an die Schenkel der männlichen Hauptrolle klammern will, aber wer hat sein Herz nochmal so schwarz werden lassen? Er ist der Typ, der die tausendfache Vergeltung sucht!“
Nach seinem täglichen Fluchen auf den 'großen Meister' Flugzeug schießt dem Himmel entgegen, setzte sich Shen Qingqiu einige Ziele: Kurz zusammengefasst, mache dich mit deiner Umgebung vertraut, arbeite mit dem System so gut wie möglich zusammen, strebe nach weiteren Errungenschaften, sammle B-Punkte und hebe die OOC-Funktion so schnell wie möglich auf.
Wenn die Situation anfing, düster auszusehen, müsste er sich eine alternative Strategie überlegen.
Cang Qiongs zwölf Gipfel glichen zwölf von der Natur aus geschmiedeten riesigen Schwertern, steil und herrlich, und sie durchbohrten den Himmel.
Shen Qingqius Qing Jing Gipfel war nicht der höchste, aber er war der ruhigste, mit einem großen Wald und hohen Bambus. Um an die Spitze zu kommen mussten alle Schüler von Shen Qingqiu auch die vier Künste erlernen: Das Spielen einer Guqin, Go, Kalligraphie und Malerei.
Von Zeit zu Zeit ertöne das leise Murmeln des Lesens und die klaren Klänge der Guqin wie eine Brise über den Gipfel des Qing Jing. Es war ein ausgezeichnetes Reiseziel, um die Künste zu erlernen, die in alte Kunst und Literatur eingetaucht war, dazu passte es perfekt zu den Bedürfnissen des originalen Shen Qingqiu — diesem Angeber.
Als Shen Qingqiu eine Gruppe von Schülern passierte, die respektvoll nach seinem Gesundheitszustand fragte, versuchte er auf seinem Gesicht die gleiche Kälte wie das Original zu zeigen: Distanziert aussehen, langsam nicken und während des Gehens seine Hände hinter dem Rücken verschränken. Er kam damit durch,
allerdings fand er es nur schwierig, die Namen aus den Büchern den schwankenden Gesichtern zu zuordnen.
Jedoch war dies nicht Shen Qingqius dringlichstes Anliegen. Das war die Selbstverteidigung und dafür musste er herausfinden, wie man es anstellte, die Kampffähigkeit und Schwertkunst des Originals einzusetzen.
Wenn er sich recht erinnerte und bevor Luo Binghe sich verdunkelte, erlitt die Cang Qiong Bergsekte eine Reihe von bedeutenden Zwischenfällen. Zum Beispiel Sachen wie dämonische Überfälle auf die Konferenz der unsterblichen Allianz. Shen Qingqiu musste sich mit alldem auseinandersetzen.
Wenn alles, womit er arbeiten müsste, eine Hülle ohne Kultivierungsfähigkeiten gewesen wäre, könnte er es vergessen, den Handlungen zu folgen und die männliche Hauptrolle müsste keinen Finger rühren, weil ihn ein unbedeutendes namenloses Monster vorher töten würde!
Shen Qingqiu lief allein tief in den Wald hinein. Als er sich vergewisserte, dass niemand in der Nähe war, nahm er das Schwert von seiner Hüfte. Er hielt die Scheide in seiner linken Hand, den Griff in seiner rechten und zog langsam heraus.
Sein Schwert Xiu Ya war bereits seit jungen Jahren bei Shen Qingqiu, seit einer Zeit, wo er gerade anfing, sich einen Namen zu machen und es hätte als prestigeträchtig angesehen werden können. Das Leuchten seines Schwertes war schneeweiß. Das Licht leuchtete, aber blendete nicht. Definitiv war dies eine erstklassige Waffe. Wenn jemand spirituelle Energie in das Schwert lenkte, glühte die Klinge schwach auf. Während Shen Qingqiu überlegte, wie genau er 'spirituelle Energie' lenken sollte, begann das Schwert in seiner Hand zu schimmern.
Es schien, als er hätte er auch die originalen Kultivierungs- und Kampffähigkeiten geerbt. Sein Geist füllte die Lücken, ohne dass er sich bewusst daran erinnern musste.
Um Xiu Yas Kraft zu sehen, schlug Shen Qingqiu beiläufig einmal zu. Wer hätte geahnt, das ein einzelner Hieb so schrecklich sein würde? Der Schwertbogen blendete ihn wie ein Blitz, der von seiner Handfläche ausging, so hell, dass 400 UV-Sonnenbrillen ihn nicht gerettet hätten, wenn er nicht rechtzeitig seine Augen geschlossen hätte. Als er sie wieder öffnete, sah er, dass eine tiefe Furche in die Erde gegraben worden war, als wäre dort wahrlich ein Blitz eingeschlagen.
„Heilige Scheiße!“
Shen Qingqiu ließ sich äußerlich nichts anmerken, aber sein Herz schwankte vor Begeisterung.
Verdammt cool. Die Kraft war eines Charakters würdig, der des Gipfels einziger Meister war. Mit diesem Niveau an Kultivierung, und wenn er fleißig die nächsten zwanzig Jahre trainieren würde, dann könnte er vielleicht in der Zukunft — als letzten Ausweg, wenn er sich den übermächtigen Luo Binghe unbedingt stellen musste — vielleicht in Schande fliehen.
Jawohl. Er wollte in Schande fliehen.
Er wollte mehr üben, aber er hörte das Geräusch von leisen Schritten, die trockene Zweige zerbrachen.
In Wahrheit war das Geräusch weit entfernt, aber seine fünf Sinne waren hochsensibel und es war schwierig, dem keine Beachtung zu schenken. Shen Qingqiu betrachtete den tiefen Graben in der Erde, dann steckte er das Schwert mit einem Klirren zurück in seine Scheide, bevor er sich im Gebüsch versteckte.
Die Schritte kamen näher und näher. Das war mehr als nur eine Person. Wie erwartet und einen Moment später, tauchte das erste Gesicht auf: Es war Luo Binghe, der mit seinem eigenen Licht leuchtete.
Das erste zu hörende Geräusch war jedoch die klare, zarte Stimme eines jungen Mädchens: „A-Luo, A-Luo, schau hier ist ein riesiger Graben in der Erde!“
Beim Hören dieses Spitznamens wäre Shen Qingqiu fast aus seinem Versteck getaumelt.
[ Shen Qingqiu jüngste weibliche Schülerin, Ning Yingying ], sagte das System präzise.
„Was nützt mir diese Einleitung?”, zischte Shen Qingqiu, „Jeder weiß, dass nur eine Person Luo Binghe so anspricht!”
Das hübsche Mädchen folgte Luo Binghe und trat nun auch in sein Blickfeld. Sie sah etwas jünger aus als Luo Binghe, lieblich und bezaubernd, während sie voller Naivität rannte und hüpfte. Ihr geflochtenes Haar war mit orangenen Schleifen zurückgebunden worden. Jeder richtige Kultivierungsroman musste einen charmanten jungen Shimeityp haben.
Diese junge Shimei löste einige komplizierte Gefühle in Shen Qingqiu aus. Es lag daran, dass er es auf Ning Yingying abgesehen hatte — ähh, nein, eher der originale Shen Qingqiu hatte es auf Ning Yingying abgesehen.
Shen Qingqius Charaktereinstellung war auf 'zwielichtiger Heuchler' eingestellt. Denn nach außen hin zeigte er sich, als reinen Herzens, frei von Verlangen und immun gegen böse Versuchungen, aber in Wahrheit war er unmoralisch, schamlos, schmuddelig und abscheulich. Er war ein Lehrer, aber er hegte schmutzige Absichten gegenüber seinen gehorsamen und freundlichen Schülerinnen. Er hatte mehrmals in der Geschichte versucht, sie zu verführen und es wäre ihm beinahe gelungen. Man kann sich jedoch vorstellen, was dabei herauskommt, wenn jemand es wagt, sich an eine Frau ranzumachen, an der die männliche Hauptrolle Interesse zeigt.
Während des Lesens hatte Shen Qingqiu sich gedacht, dass es ein wenig seltsam war, warum Luo Binghe nicht versucht hatte, diesen
Widerling zu kastrieren. Sein Versäumnis, dies zu tun, hatte nichts mit Binghes dunklem Charme zu tun.
Also war er in den Kommentarbereich gegangen, schloss sich dem Mob an, überschwemmte ihn mit Post und stimmte mit ein: „Bitte kastriere Shen Qingqiu! Wenn er nicht kastriert wird, kündigen wir.”
Beim genaueren Nachdenken und näherer Betrachtung, war Shen Qingqiu zutiefst erschrocken. Denn die Beschwerde hatte Erfolg gehabt. Er hätte sich jetzt unbedingt die Hand dafür abhacken können, die diesen Post geschrieben hatte.
Luo Binghe blickte einmal zu ihr herüber und zeigte nur ein halbherziges Lächeln.
Doch Ning Yingying wollte seine Aufmerksamkeit, dabei gestikulierte sie herum, während sie weitersprach: „Sag mir A-Luo, welcher Shixiong macht hier draußen seine Schwertübungen?”
„Auf dem Qing Jing Gipfel, so fürchte ich, hat nur Shizun dieses Niveau an Kultivierung“, antwortete Lou Binghe, während er eine Axt aufhob und anfing, Bäume zu fällen.
Er sagte nur einen einzigen Satz, dann beachtete er sie nicht mehr. Seine ganze Aufmerksamkeit galt seinem eigenen Handeln, während er die Axt hob und senkte und ernsthaft hackte.
Diese Bäume waren weder dünn noch schwächlich gewachsen und die Axt war halb verrostet. Zu dieser Zeit war Luo Binghe erst vierzehn Jahre alt und das Hacken an sich war sehr anstrengend. Schon bald lief ihm der Schweiß übers Gesicht.
Ning Yingying setze sich auf einen alten Baumstumpf und beobachtete ihn, während sie ihr Kinn auf ihren Händen abstützte. Nach einer Weile war ihr wieder langweilig und sie sagte: „A-Luo, spiel mit mir!“
„Ich kann nicht”, Luo Binghe hatte noch nicht einmal die Zeit, sich den Schweiß abzuwischen. Er fuhr fort die Axt zu schwingen, während er sprach: „Unsere Shixiongs sagten mir, dass wenn ich mit
dem Holz hacken fertig bin, ich auch noch das Wasser tragen solle. Wenn ich also schnell mit dem Hacken fertig werde, dann kann ich mir etwas Zeit zum Meditieren nehmen.”
„Unser Shixiongs sind wirklich schrecklich! Immer lassen sie dich dies und das tun. Für mich sieht es so aus, als würden sie dich absichtlich schikanieren“, Ning Yingying schmollte, „Hmpf, ich werde zurück gehen und es Shizun sagen. Sobald ich das getan habe, werden sie es nicht mehr wagen, dich zu schikanieren.”
Bis zu diesem Punkt hatte Shen Qingqiu das Gefühl, als wäre er Teil bei einem Shooting für eine 'Der stolze Weg des unsterblichen Dämons'- Dramaszene — während eines Sparziergangs! — und würde sich an der Geschichte einer Jugendliebe erfreuen. Als er das hörte, wurde er bleich er vor Schreck.
Nein, nein, nein, du darfst mir das auf keinen Fall sagen! Was soll ich denn tun?! Ich kann mich nicht OOC verhalten — wen genau soll ich den bestrafen?!
Aber zu diesem Zeitpunkt der Geschichte erlebte der junge Luo Binghe die volle Breitseite der Nöte der Menschheit, und dennoch hatte er immer noch das reine Herz eines weißen Lotus. Er schüttelte wegen Ning Yingying den Kopf: „Tu das nicht. Ich will keinen Ärger mit Shizun wegen diesen Kleinigkeiten. Unser Shixiongs meinen es nicht böse. Sie sehen nur, dass ich jung bin und wollen mir mehr Möglichkeiten zum trainieren bieten.”
In diesem Moment konnte Shen Qingqiu fast zehntausend Lichtstrahlen hinter Luo Binghe sehen. Er konnte sich nicht zurückhalten, und ging drei Schritte zurück. Unfähig direkt hinzuschauen; Unfähig, die männliche Hauptrolle direkt anzusehen, die einen solchen transzendenten Seinszustand erreicht hatte — der eine solche tiefgründige Erleuchtung erreicht hatte!
Während Ning Yingying plapperte, wurde Luo Binghe mit dem Holz hacken fertig. Er legte die Axt weg, fand dann zufällig eine
Stelle, wo der Boden relativ sauber war, setzte sich hin, machte einen Schneidersitz und schloss die Augen.
In seinem Herzen machte Shen Qingqiu einen tiefen Seufzer.
In Wahrheit hatte sich die 'Übermächtige Veranlagung' des Protagonisten bereits gebildet, obwohl ihm in diesem Teil der Geschichte das Elend noch heimsuchte.
Das Kultivierungshandbuch das Ming Fan Luo Binghe gegeben hatte war eine Fälschung. Je mehr er trainierte und den Anweisungen folgte, desto mehr hätten sich seine Techniken verschlechtern sollen, bis sie absoluter Müll waren. Aber mithilfe seines unvergleichlichen Talents und einem Körper mit einem halben Anteil von Dämonenblut, hatte er durch Zufall seinen eigenen Weg gefunden... Es war vollkommen unlogisch.
Während Shen Qingqiu seufzte, war das Geräusch weiterer sich nähender Schritte zu hören.
Als er das hörte wusste Shen Qingqiu, dass nichts Gutes folgen konnte.
Ming Fang trat hinaus auf die Lichtung. Ihm folgten mehrere als niedrig eingestufte Schüler. Als er Ning Yingying erblickte, ging er erfreut auf sie zu und griff nach ihrer Hand: „Xiao-Shimei! Xiao-Shimei, endlich habe ich dich gefunden. Wie konntest du an einen Ort wie diesen gehen, ohne etwas zu sagen? Die Rückseite des Berges ist so groß — was ist, wenn gefährliche Biester oder giftige Schlangen deinen Weg gekreuzt hätten? Komm, dein Shixiong will dir etwas Lustiges zeigen!”
Natürlich sah Ming Fan Luo Binghe, der ganz in der Nähe saß, aber er ignorierte den anderen Jungen, so als wäre er Luft.
Jedoch war Luo Binghe sehr gut erzogen. Er öffnete die Augen und grüßte: „Shixiong.“
„Ich habe keine Angst vor giftigen Schlangen oder gefährlichen Biestern”, kicherte Ning Yingying, „Außerdem ist doch A-Luo bei mir!“
Ming Fang ließ seinen Blick zu Luo Binghe schweifen, blinzelte und spuckte.
Erklärungen:
A- ist eine freundliche Verniedlichung. Es ist immer eine Vorsilbe. Normalerweise für einsilbige Namen oder für die erste Silbe eines zweisilbigen Namens.
Shimei ist die Bezeichnung für ein weibliches Mitglied der gleichen Sekte (entspricht vom Alter her einer großen Schwester).
Xiao- ist eine verniedlichende Bedeutung für ‘klein’. Xiao ist immer eine Vorsilbe.
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