Dort war Shen Qingqiu, der plötzlich die Wahrheit verstanden hatte, halb entsetzt und halb wütend. Er hob den Fuß und trat.
Luo
Binghe duckte sich weder, noch trat er zur Seite und nahm den Tritt frontal
entgegen, aber er wich keinen einzigen Schritt zurück. Er hielt Shen Qingqiu
sogar weiter fest, ohne ihn loszulassen.
„Ich
darf nicht einmal träumen?“, fragte er und sah sowohl wütend als auch verletzt
aus.
Beeile
dich und wach auf! Auch wenn dies ein Traum ist, hast du dir diesen großen
Moment sicherlich nicht ausgedacht!
Er
konnte Luo Binghe nicht wachschlagen, aber er konnte es auch nicht zulassen,
dass er mit dieser Dummheit weitermachte!
Er
steckte in einer Zwickmühle!
Shen
Qingqiu hatte nicht herausfinden können, was er schreien sollte, um sich zu
beruhigen, als sein Rücken ohne Vorwarnung gegen einen Bambusständer
geschleudert und er hineingedrückt wurde. Luo Binghe senkte seinen Kopf noch
einmal hinab.
Es
war nicht das erste Mal, dass Shen Qingqiu geküsst wurde, aber es war das erste
Mal, dass er die Bedrohung spürte, dass jemand verrückt wurde und ihm die
Lippen abbeißen würde. Zwischen ungeordneten Atemzügen flüsterte Luo Binghe:
„Shizun, ich habe mich geirrt…“
Shen
Qingqiu schaffte es, eine seiner Hände zu befreien, und drückte sie gegen Luo
Binghes Brust. Er wollte wirklich nicht diese 'Frau aus gutem Hause, die sich
einem Raufbold widersetzt'-Pose machen, aber—
Du
Arschloch, sieht das so aus, als wüsstest du, dass du im Unrecht bist?!
Shen
Qingqiu war derjenige, der sich geirrt hatte, wirklich geirrt, vollkommen
geirrt. 'Wind aus einer leeren Höhle' — ja richtig! All dieser Jianghu-Klatsch
hatte eine logische Grundlage. Jeder einzelne Klatscherzähler muss in seinem
früheren Leben ein gefallener Engel gewesen sein, nur deswegen konnten sie die
Fähigkeit besitzen, unter die Oberfläche zu blicken, und waren dazu in der
Lage, die Realität darunter zu erkennen!
Shen
Qingqiu hatte die männliche Hauptrolle nicht zu einer Asexuellen erzogen, und
es war keine Frage, ob Luo Binghe ein Masochist war oder nicht. Die Realität
war viel erschreckender! Er hatte die männliche Hauptrolle dazu erzogen, schwul
zu sein!
Ahhh!!!
Kein
Wunder, dass er keine einzige Frau gesammelt hatte! Kein Wunder, dass sein
Harem in Trümmern lag! Frauen konnten sein Interesse nicht mehr wecken, und sie
waren nicht mehr mit seinen Zufriedenheitspunkten verbunden!
Was
zum Teufel!
Shen
Qingqiu weigerte sich absolut, sich zu unterwerfen, widersetzte sich hartnäckig
und kämpfte mit aller Kraft. Er überlegte gerade, welche Option zu einem
schlechteren Ergebnis führen würde, indem er sich erneut selbstzerstörte oder
Luo Binghes entscheidende Teile trat, als Luo Binghe ihn ohne Vorwarnung
freigab. Er schaute in den Himmel über ihnen mit seinem wirbelnden
Wolkenwirbel, und sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich plötzlich.
In
nächsten Augenblick bröckelte die Landschaft und die Menschen vor Shen Qingqius
Augen lösten sich auf. Die Illusion zerbrach in tausend Stücke. Zur gleichen
Zeit sprang Shen Qingqiu auf dem Dach der Haupthalle des Huan-Hua-Palastes auf
seine Füße.
Dies war
jetzt die reale Welt!
Shen
Qingqiu nahm eine Reihe heftiger Atemzüge und schaffte es schließlich, seine
Gedanken zu beruhigen. Plötzlich bemerkte er, dass alle Bereiche unterhalb des
Hauptgebäudes beleuchtet waren und alle Alarmglocken zusammen läuteten. Er
steckte den Kopf über die Dachkante, seine Kleider flatterten unaufhörlich im
Nachtwind und schaute von oben herunter. Unzählige Lichter sammelten sich auf
dem Platz. Das waren die verschiedenen Schüler des Huan-Hua-Palastes, die aus
allen Richtungen hierher schwärmten.
„Haltet
Wache! Dies ist ein Befehl an alle in diesem Bereich: Haltet Wache!“
„Noch
ein Durchbruch“, fluchte jemand, „Wie oft ist er schon eingebrochen? Haben wir
es geschafft, ihn auch nur einmal aufzuhalten?“
Shen
Qingqiu freute sich. Eine Flucht wäre ideal. Sie würde ihn aus dem Chaos
entkommen lassen. Wen interessierte dieses Himmelsdämonenblut oder was auch
immer? Seine Integrität war wichtiger. Zuerst gehen und sich erst später
sorgen, auf Wiedersehen! Aber am Ende war er keine zwei Schritte geflohen, als
er jemanden sagen hörte: „Er ging in Richtung Huan-Hua-Pavillon. Formiert euch
und stoppt Liu Qingge!“
Shen
Qingqius Füße rutschten unter ihm weg und er drehte sich sofort um und rannte
zurück.
Zum
Teufel noch mal. Musste Liu Qingge wirklich jetzt kommen. Shen Qingqiu
konnte ihn doch nicht einfach einem völlig zusammengebrochenen und
augenblicklich kampfunfähigen Luo Binghe gegenübertreten lassen, oder?
Der
Hua-Huan-Pavillon war der Ort, an dem aufeinanderfolgende Generationen von
Palastmeistern gelebt und sich kultiviert hatten, und er war nicht allzu weit
entfernt. Mit ein paar Schritten sprang Shen Qingqiu vom Dach, mischte sich
unter die Haupteinheit und eilte hinüber. Sie hatten den Huan-Hua-Pavillon noch
nicht betreten, als Welle um Welle eisiger, bedrohlicher Winde sie frontal
angriff. Aus dem Inneren des Gebäudes ertönte ein wütender Schrei voller
mörderischer Absichten.
„Verschwindet!"
Als
sie die Alarmglocken hörten, waren einige unwissende Schüler hereingeplatzt und
die mehreren Dutzend Menschen vor ihnen wurden von einer enorm starken Qi-Welle
durch die Luft geschleudert. Shen Qingqiu war in der Welle danach, also gelang
es ihm, diesem Schlag rechtzeitig auszuweichen. Er suchte sich eine gute
Position aus, nutzte das Chaos und schlüpfte hinein. Als er eintrat, überkam
ihn ein eiskalter Schauer und löste eine Welle von Gänsehaut aus.
Es
war, als wäre der gesamte Huan-Hua-Pavillon zu einer riesigen Eishöhle
geworden. Ein einziger Schritt hinein war, als würde man ein Land aus Frost und
Schnee betreten. Kühler Wind flutete durch Shen Qingqius Roben und Ärmel, der
kalte Schweiß auf seinem Rücken und seiner Stirn gefror schnell zu einer dünnen
Eisschicht. Man konnte sich genau vorstellen, wie unwirtlich das Innere sein
musste.
Die
Temperatur war nicht nur ungewöhnlich niedrig, die Türen waren alle versiegelt,
die Fenster luftdicht verschlossen. Es war sowohl eiskalt als auch dunkel. Wenn
der Eindringling (Cang-Qiong-Bergleiter für alle Abbrucharbeiten, Liu Qingge)
nicht ein riesiges Loch in die Wände gesprengt hätte, wäre der Ort wie ein Sarg
aus Eis gewesen.
Die
Oberseite der Sitzplattform in der Mitte des Pavillons war halb von Vorhängen
verdeckt und daneben lagen mehrere schwarze und weiße Umhänge.
Luo
Binghe trug nur eine innere Robe und er sah aus, als wäre er gerade aus dem
Bett aufgestanden. Sein schwarzes Haar war zerzaust und seine Kleidung
unordentlich, der Ausschnitt weit offen und schief. Sein Gesicht war
ungewöhnlich blass, aber seine Lippen hatten Farbe, während seine Augen mit
einem kalten Licht blitzten, — die Aura unheimlich und bedrohlich. Es schien,
als wäre er bereit zu kämpfen, mit entblößten Klauen und Reißzähnen.
Liu
Qingge stand ihm mit einer Entfernung von sieben Schritten gegenüber, die
Knöchel seiner schwerthaltenden Hand ragten hervor, sein ganzes Gesicht war
aschfahl.
Er
starrte Luo Binghe an, der ruhig neben der Plattform saß und betonte jedes
Wort: „Du Bastard.“
Eine
heftige Woge spirituellen Lichts und Tötungsabsicht brach von Cheng Luan aus.
Shen Qingqius Wachsamkeit war hoch, als er zwischen den beiden hin und her
blickte, dann sah er plötzlich in die Richtung, in die Liu Qingges Schwert
zeigte. Aus seinem Kopf kam das Geräusch des letzten, überlebenden Fetzens
seiner Weltanschauung, der schließlich zerschmetterte wurde.
Luo
Binghes rechte Hand lag auf Xin Mo, das nie von seiner Seite wich, die
schneeweiße Klinge war schon fast halb aus der Scheide gezogen, doch sein
linker Arm hielt tatsächlich eine Person.
Obwohl
Shen Qingqiu es eine Person nannte, war es richtiger, von einem Körper zu
sprechen. Er war völlig biegsam. Auch er trug eine Reihe von dünnen inneren
Roben, der Ausschnitt war über seine Schulter gerutscht und entblößte die
Hälfte des papierweißen Rückens.
„Was
hast du getan?“, sagte Liu Qingge.
Liu
Qingge würde die Szene, die er nur Sekunden zuvor gesehen hatte, nie vergessen.
Nachdem Cheng Luan einen Eingang aufgerissen hatte, hatte er einen völlig
leeren Raum vorgefunden, abgesehen von den sich überschneidenden Silhouetten
zwischen den Vorhängen. Liu Qingge wusste, dass Luo Binghe definitiv im
Pavillon sein musste, aber er hätte sich nie vorstellen können, dass er nicht
der Einzige darin war.
Luo
Binghe hob seine Brauen und zog den schlaffen Körper in seinem linken Arm
weiter in seine Umarmung: „Du fragst mich, was ich getan habe?“
Shen
Qingqiu war völlig sprachlos. Zwei Menschen, oder besser gesagt, eine lebende
und eine tote Person, die zusammen von etwas Ähnlichen wie einem Bett rollten,
die kaum etwas bedeckten — es sah nicht nach etwas Familienfreundlichem aus,
wie man es auch drehte und wendete!
Ohne
ein einziges Wort von Liu Qingge schoss Cheng Luan nach vorne. Xin Mo musste
noch ganz herausgezogen werden, also blockierte Luo Binghe nur mit der Scheide
Chen Luans Spitze. Die Energie von Chen Luans Schwertlicht war überwältigend.
Luo Binghe bewegte sich leicht zur Seite, blockte die beißend kalten
Energieangriffe ab und hielt den Körper in seinen Armen sicher hinter sich,
während sein Gesichtsausdruck wütend wurde.
Auch
Liu Qingge hatte erkannt, dass, wenn er Cheng Luan in einer so beengten Kammer
einsetzte, nur ein bisschen Nachlässigkeit dazu führen könnte, dass seine
messerscharfe Schwertenergie diesen Körper beschädigen könnte. Sofort steckte
er sein Schwert wieder in die Scheide und begann, seine spirituelle Energie
gegen die von Luo Binghe auszuspielen.
Als
sie im Kampf umherwirbelten, rutschten die losen Kleider an diesem Körper
vollständig über seine Taille und Luo Binghes Handfläche presste sich nahtlos
gegen diese helle Haut.
„Du
Biest! Egal was, er ist immer noch dein Shizun!“, schrie Liu Qingge mit
blutunterlaufenen Augen.
„Glaubst
du, ich mache das mit einem Außenstehenden?“, fragte Luo Binghe ruhig.
Die
Schüler des Huan-Hua-Palastes, die sich umdrehten, bildeten mehrere Kreise um
sie herum und alle waren sprachlos. Luo Binghe schenkte ihnen keine
Aufmerksamkeit und konzentrierte sich ganz auf den Umgang mit Liu Qingge.
Spirituelle Energie brodelte wie kochendes Wasser in der Luft um sie herum und
schoss in alle Richtungen. Als sie aufeinanderprallten, verschlechterte sich
ihr Gesichtsausdruck, jeder furchteinflößender als der andere. Niemand wagte
es, den Huan-Hua-Pavillon zu betreten, aus Angst, ins Kreuzfeuer zu geraten.
Shen
Qingqiu hatte jedoch keine Angst vor dem Kreuzfeuer. Er war einfach nur nicht
in der Lage, geradeaus zu sehen.
Zu
schlimm ... Viel zu schlimm, verdammt noch mal!
Auch
wenn seine Fantasie so groß gewesen wäre, wie die Entfernung zum Mond, hätte er
sich dennoch nie vorstellen können, dass er eines Tages eine Figur in dieser
Art von Hardcore-Porno-Spiel werden würde. Das Ding, das Luo Binghe in seinen
Armen hielt — das… war tatsächlich tot, richtig? Er hat sich absolut nicht
geirrt, denn das war seine Leiche, okay?!
Das
hatte bereits das Niveau des Erschreckendsten längst überschritten. Noch bevor
er sorgfältig darüber nachdachte, war es bereits mehr als entsetzlich!
Obwohl
er sich nicht zwingen konnte, direkt hinzusehen, hatte er den Grund für seine
Rückkehr nicht vergessen.
Shen
Qingqiu blitzte hinter Liu Qingge auf. Bei Letzterem stieg die Wachsamkeit, da
er glaubte, dass dies ein Hinterhalt sei, und stieß ein dunkles Lachen aus,
während er sich darauf vorbereitete, seinen Angreifer mit spirituellem Qi
wegzuschicken. Doch stattdessen drückte sich eine Hand gegen Liu Qingges Rücken
und ein Strom stetiger, sanfter, aber kraftvoller spiritueller Energie floss in
seine Meridiane.
Nachdem
Liu Qingge diese Hilfe erhalten hatte, konnte er Luo Binghe etwas
zurückdrängen. Liu Qingge wagte es nicht, nachlässig zu sein, aber er drehte
leicht den Kopf. Aus den Augenwinkeln konnte er nur das verschwommene Gesicht
der Person hinter sich erkennen, als wäre ihr Gesicht von etwas verdeckt.
„Wer
ist da?“, fragte Liu Qingge leise.
Shen
Qingqiu antwortete nicht und schickte stattdessen mehr Energie durch seine
Hände. Die beiden unvergleichlich mächtigen Ströme spiritueller Energie
verschmolzen zu einer.
Obwohl
Luo Binghe es perfekt blocken konnte, würde diese explosive Offensive
spiritueller Energie seinen Körper hinunter und in die Leiche in seinen Armen
fließen. Er konnte die Energie zerstreuen, aber die Toten konnten es nicht;
wenn er nicht losließ, würde der Schock wahrscheinlich dazu führen, dass die
sieben Gesichtsöffnungen des Körpers platzen. Luo Binghe wollte der Leiche
keinen Schaden zufügen, also konnte er sie nur freigeben. Der Körper wurde kurz
von dem siedenden spirituellen Feld weggeschleudert und flog nach draußen.
Selbst
nachdem er losgelassen hatte, blieb Luo Binghes Blick fest auf diesen Körper
gerichtet, sein Gesichtsausdruck sowohl hilflos als auch widerstrebend. Shen
Qingqiu fand plötzlich diesen Ausdruck von ihm unerträglich. Diese Methode zu
verwenden, um ihn zum Loslassen zu zwingen ... fühlte sich irgendwie ein
bisschen wie Mobbing an?
Mehreren
Schülern fehlte der Verstand und sie bewegten sich, um zum Handeln.
„Fasst
ihn nicht an!“, schrie Luo Binghe. Selbst aus der Ferne erfüllte ein Winken
seines Ärmels die Leute in dieser Richtung mit Schreien.
Shen
Qingqiu zog die spirituelle Energie zurück, die er auf Liu Qingges Rücken
angewendet hatte. Mit einer Fußbewegung warf er sich nach vorn und nahm den
Körper in seine Arme.
Das
Gefühl, seinen eigenen Leichnam zu halten, war definitiv nicht nur ein
gewöhnliches Level von Unwahrscheinlichkeit. Shen Qingqiu warf ihm ein paar
flüchtige Blicke zu; die Hautfarbe seines Körpers war tatsächlich immer noch
ausgesprochen rosig, die vier Gliedmaßen geschmeidig. Abgesehen von den fest
geschlossenen Augen und der Atemlosigkeit unterschied er sich nicht von einer
lebenden Person im Tiefschlaf.
Nach
der Selbstzerstörung hatte sich die spirituelle Energie vollständig zerstreut,
und somit war keine Kultivierung im Innern verblieben, um den Verfall der
Leiche zu verhindern. Hinzu kam, dass seit seinem Tod mehr als fünf Jahre
vergangen waren, also hätte die Konservierung des Körpers allein mit dem Eis
nicht diesen Erfolg gebracht. Die Leiche roch nicht nach Kräutern, also war sie
wahrscheinlich auch nicht mit Chemikalien behandelt worden. Es war unklar,
welche Methode Luo Binghe verwendet hatte.
Shen
Qingqiu wich einer spirituellen Explosion aus, die stark genug war, um Steine
zu spalten, und blickte auf. Luo Binghe starrte ihn derzeit mit wildem
Gesichtsausdruck an. Erst jetzt erkannte Shen Qingqiu, dass die Kleidung dieses
Körpers bereits ganz über seinen Oberkörper gerutscht war und dass er sein
nacktes Fleisch hielt. In Anbetracht dessen, wie er ihn berührt und angestarrt
hatte, egal, wie man es sah, war es ein… sowohl unglaublich verstörender als
auch ziemlich provokanter Anblick.
Er
zog hastig die Kleidung der Leiche hoch und schickte diese heiße Kartoffel zu
Liu Qingge: „Fang!“
Luo
Binghe wollte ihn ergreifen, aber er wurde von Shen Qingqiu abgefangen.
Ursprünglich hatte sich Shen Qingqiu Sorgen gemacht, dass Luo Binghe die
Blutmilben der Himmelsdämonen aktivieren würde, aber, ob ihm nun die
mörderischen Absichten zu Kopf gestiegen oder seine Panik ihn in Aufruhr versetzt
hatte, er dachte überraschenderweise nicht daran, diesen Trumpf zu aktivieren.
Liu
Qingge fing den Körper mit einem Arm auf und rief mit seiner freien Hand Cheng
Lua herbei, womit er den Kreis der angreifenden Schüler des Huan-Hua-Palasts
mühelos zurückschlug.
Dadurch,
dass sie zwischen ihnen hin und her geschleudert wurde, war das Oberteil der
Leiche schließlich vollständig aufgerissen. Als Liu Qingge sie auffing, spürte
er eine Fläche glatter Haut unter seiner Handfläche, sowohl fein als auch kühl,
und der Bereich, den seine Hand berührte, schien von einem leichten
elektrischen Strom zu beben. Liu Qingges ganzer Körper erstarrte. Da er keinen
geeigneten Ort fand, an dem er die Leiche halten konnte, schickte er sie fast
noch einmal zurück.
Glücklicherweise
gelang es ihm am Ende, diesem Impuls zu widerstehen und seine äußere Robe
abzulegen, der weißer Stoff breitete sich wie Flügel aus und wickelte den
Körper in seinen Armen ein. Cheng Luan flog zurück und schwebte ruhig vor
seinen Füßen.
Luo
Binghes Augen waren ganz scharlachrot geworden. Der gesamte Huan Hua Pavillon
war wie eine dicht verschlossene Kiste und in der Kiste war eine Bombe
platziert worden. Als die Bombe explodierte, stürzten die Wände mit einem
lauten Grollen ein.
Neben
dem fliegenden Sand und den geschleuderten Steinen — abgesehen von Menschen,
Menschen und noch mehr Menschen — fielen zwei Objekte mit metallischem Klirren
auf den Boden. Als Shen Qingqiu sich konzentrierte und hinsah, sah er, dass es
sich tatsächlich um zwei Schwerter handelte:
Zheng
Yang, Xiu Ya.
Diese
beiden Schwerter hatten ursprünglich das gleiche Schicksal geteilt und waren in
zahlreiche Teile von Klingensplittern zerbrochen. Es war unklar, wie sie
repariert worden waren, aber sie waren zusammengebunden und im Huan-Hua-Pavillon
platziert worden. Erst mit dem Einsturz des Pavillons sahen sie wieder die
Sonne und den Himmel.
Diese
beiden Schwerter noch einmal zu sehen, hinterließ ein unbeschreibliches Gefühl
in Shen Qingqius Herz. Er blickte zu Luo Binghe hinüber, dessen Kleidung von
Anfang an glattgebügelt war. Nach dieser Explosionswelle lagen seine scharf
geschnittenen Schlüsselbeine und seine Brust völlig frei. In der Nähe seines
Herzens verlief eine scheußlich aussehende Schwertwunde.
Luo
Binghes Regenerationsfähigkeit war überragend stark. Selbst wenn seine
Gliedmaßen abgehackt worden waren, konnte er sie tadellos wieder anbringen, und
wenn es etwas härter geworden war, konnte er sogar problemlos neue wachsen
lassen. Wenn er sich nicht absichtlich entschied, eine Verletzung nicht zu
heilen, gab es keine Wunden, die er nicht heilen konnte und keine, die eine
Narbe hinterlassen würden.
„Liu
Qingge“, rief Luo Binghe, „um Shizuns Willen habe ich dich immer und immer
wieder am Leben gelassen. Aber da du so sehr sterben willst, kannst du es mir
nicht verübeln!“
Die
Kraft seines darauffolgenden Ausbruchs spiritueller Energie und mörderischer
Absichten ließen Shen Qingqius innere Organe sich beinahe in seinem Körper
verschieben. Er wusste, dass Luo Binghe wütend war, und er beeilte sich, Liu
Qingge anzuschreien: „Bist du immer noch nicht weg?“
Es
fühlte sich so an, als ob er, seit er in diese Welt gekommen war, immer wieder
die Rolle des selbstlosen Wachmanns spielte, der sich für andere opferte! Liu
Qingge warf ihm einen Blick zu, dann wie erwartet, hatte er sich entschieden —
er ging ohne zu zögern nach links, klemmte den Körper unter seinen Arm und
sprang auf sein Schwert, dann flog er blitzschnell davon.
Luo
Binghe wollte handeln, aber plötzlich, erschütterte ein heftiges Zittern sein
Herz und Xin Mos plötzlicher Rückstoß zwang ihn auf einen Schlag still zu
werden. Aufgrund dieses einen verpassten Schlags konnte er nur hoffnungslos mit
ansehen, wie Liu Qingge mit Shen Qingqius Leiche unter dem Arm davonflog.
Er
blieb benommen an Ort und Stelle, für einen Moment flackerte eine Leere über
sein Gesicht. Er hatte sogar vergessen, das Feuer zu erwidern. Er sah aus wie
ein Kind, dem seine ganze Welt, sein Liebstes, entrissen worden war. Dessen
Himmel im Begriff war, zusammenzubrechen und einzustürzen.
Shen
Qingqiu hatte ursprünglich vorgehabt, das Chaos auszunutzen, um davonzulaufen,
aber als er das sah, blieben seine Füße aus irgendeinem Grund im Palastboden
stecken und dieser unerträgliche Blitz von früher wurde noch stärker.
Aber
selbst, wenn er den Anblick unerträglich fand, konnte er nichts dafür. Wenn er
Luo Binghe weiterhin diesen Leichnam umarmen ließ, wer wusste, welche schwer zu
sündigen und schrecklichen Entwicklungen sich noch ereignen könnten?!
Das
eigentliche Problem war, dass sein Herz zu einem so ungünstigen Zeitpunkt weich
geworden war. Es war ihm nicht gelungen, sich davonzuschleichen. Luo Binghes
Kopf drehte sich scharf in seine Richtung und diese beiden ernsten roten Augen
fixierten ihn.
In
seiner Scheide begann Xin Mo vor Freude und Bosheit zu zittern. Luo Binghes
Gesichtsausdruck sagte Shen Qingqiu deutlich, dass er ihn absolut, definitiv in
tausend Stücke hacken würde. Shen Qingqiu blickte in seine Augen, die sowohl
wütend als auch am Boden zerstört waren, und wich zwei Schritte zurück. Dann
wollte er Luo Binghe plötzlich etwas Wahres sagen, als wären seine Gedanken
vertauscht worden.
Er
wollte sagen: „Sei nicht so traurig, Shizun ist nicht tot.“
Gerade
als er seine Lippen bewegte, sprang ein schwarzer Schatten aus der Gruppe der
Huan-Hua-Palastschüler hervor.
Diese
Silhouette war unglaublich schnell und flink. Sie riss Shen Qingqiu wie einen
Wirbelwind hoch und verschwand mit ihm einfach so. Luo Binghes Sehkraft und
Reflexe waren außergewöhnlich, doch die spirituelle Explosion, die er
abfeuerte, verfehlte ihn.
_________________________
Er stand
an Ort und Stelle und blickte emotionslos auf die Ruinen, die vom
Huan-Hua-Pavillon übrig geblieben waren, zusammen mit den überall verstreuten
Truppen. Die ganze Zeit über konnten die Schüler des Huan-Hua-Palastes nicht
eingreifen, aber auch sie wussten, dass Luo Binghes Geisteszustand nach dieser
Serie von Verlusten instabil war. Er würde definitiv vor Wut explodieren. Sie
beeilten sich, in Massen niederzuknien.
Zur
gleichen Zeit hatte es Sha Hualing endlich bis zum Pavillon geschafft. Sie
eilte nach vorne, aber Luo Binghe ließ sie in dem Moment fliegen, als sie ankam
und sie hustete drei Liter Blut.
Sie
wusste schon lange, dass Luo Binghe temperamentvoll war, aber da sie nicht
wusste, was ihn dieses Mal wütend gemacht hatte, sagte sie entsetzt: „Mein
Herr, beruhigen Sie sich. Mein Herr, beruhigen Sie sich!“
„Die
Person, die du mitgebracht hast, ist wirklich etwas ganz Besonderes“, sagte Luo
Binghe.
Dieses
'wirklich etwas ganz Besonderes' war so beängstigend, dass es weniger
beängstigend gewesen wäre, wenn Luo Binghe ihr gesagt hätte, sie solle sich auf
der Stelle umbringen. Sha Hualings Seele verließ beinahe ihren Körper.
„Diese
Untergebene hat etwas zu melden!“, sagte sie hastig.
„In
dem Moment, als der Einbruch stattfand, entdeckte diese Untergebene das Problem
und machte sich daran, es zu lösen. Liu Qingge war nicht der einzige
Eindringling! Der Gipfelherr vom Bai-Zhan-Gipfel hatte das Innere des Palastes
im Schutz der Nacht erkundet, aber er war nicht in der Lage, das Labyrinthfeld
zu durchbrechen. Jedoch hat jemand anderes das Labyrinthfeld durchbrochen und
Liu Qingge nutzte dies, um ebenfalls erfolgreich einzudringen.“
Luo Binghe blickte in die Richtung, in der Liu Qingge auf seinem Schwert verschwunden war und ballte langsam seine Faust, wobei die Knochen seiner Knöchel knackten.
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