Kapitel 49 ~ Wahre Neigung

Shen Qingqiu hatte immer eine respektvolle Distanz gewahrt, wenn es um Kämpfe zwischen den weiblichen Charakteren ging, aber nachdem er dies beobachtet hatte, hatte er das Gefühl, dass die Kluft zwischen seinen Erwartungen und der Realität zu groß war, um sie zu ignorieren. Er eilte ihnen nach und beobachtete weiter.

„Es tut mir leid, ich habe meine Pflichten vernachlässigt“, sagte Qin Wanyue, während sie die Tränen zurückhielt, „Ich habe die kleine Palastherrin nicht aufgehalten ...“

Sha Hualing unterbrach sie schnell: „Es war allein deine Schuld! Ich habe gehört, dass die Wahrung des Gesichts besonders für die Frauen des Menschenreichs wichtig ist, aber selbst, wenn du es nicht geschafft hast, den Herrn zu verführen, weigerst du dich schamlos zu gehen — Glaubst du, ein nettes Gesicht macht alles aus? Außerdem ist es eine Sache, nicht zu gehen, aber du kannst nicht einmal eine einzige Person richtig im Auge behalten. Du bist ihre Shijie, also warum lässt du es zu, dass sie vor dem Herrn einen Wutanfall bekommt. Für wen erniedrigst du dich und benimmst dich so erbärmlich?“

Als Qin Wanyue Sha Hualing zuhörte, wie sie auf ihre Unzulänglichkeiten hinwies, wollte sie vor Scham und Groll sterben. Sogar im Originalwerk hatte Sha Hualing Qin Wanyue zutiefst gehasst und immer etwas an ihr bemängelt. Obwohl sie diesmal nicht zusammen den Harem betreten hatten, schien sich ihre Beziehung nicht im Geringsten verbessert zu haben.

Sha Hualing drehte ihren Kopf und wechselte ihren  Gesichtsausdruck. Lächelnd sprach sie die kleine Palastherrin an: „Die kleine Palastherrin hat in den letzten Jahren ein luxuriöses Leben geführt, genau wie früher. Abgesehen von gelegentlichem Hausarrest hast du keine wirklichen Misshandlungen erlitten, richtig? Also warum bist du so gekränkt?“

„Wer zur Hölle bist du?“, fragte die kleine Palastherrin boshaft, „Wie kannst du, eine unanständige Füchsverführerin wer weiß von wo, es wagen, hier im Huan-Hua-Palast so mit mir zu sprechen! Wie unterscheidet sich die Art und Weise, wie er mich behandelt, von einem gehaltenen Schwein?!“

Sha Hualing schmollte: „Warum sagt mir dann die kleine Palastherrin nicht: Was kann sie denn anderes als Fressen und schlafen wie das Tier, das sie aufgezogen hat?“

Qin Wanyue schluchzte: „Kleine Palastherrin, gehen wir. Alles... hat sich längst geändert ...“

„Aus welchen Gründen kannst du mich dazu bringen, zu gehen?!“, sagte die kleine Palastherrin hysterisch, „Das ist mein Huan-Hua-Palast — meiner! Geht mir aus dem Weg! Ihr seid alle Verräter!“

Die Szene geriet in völliges Chaos und die Menschen flohen in alle Richtungen.

Shen Qingqiu hatte einige äußerst schockierende Wahrheiten entdeckt. Er zählte sie sorgfältig an seinen Fingern ab:

Sha Hualing: Wurde nicht zu einer Ehefrau, sondern zu einer Untergebenen gemacht. Arbeitete sich mit Überstunden zu Tode und ihr Lohn und ihre Leistungen sind nichts Besonderes. Von der Einstellung ihres Chefs her sieht es auch nicht so aus, als ob er eine Büroromanze will.     X

Liu Mingyan: Hatte nicht einmal die Schwertquaste als Liebesbeweis ausgetauscht.    X

Ning Yingying: Nach der Pubertät hörte sie auf, die fanatische Liebe ihrer naiven Jugend gegenüber der männlichen Hauptrolle zu demonstrieren. Schien ganz so, als wäre ihr liebeskrankes Gehirn geheilt worden.      X

Die kleine Palastherrin: Bittere eingesperrte Frau. Sie selbst sagte, dass Luo Binghe sie wie ein gehaltenes Schwein behandelt.       X

Qin Wanyue: Bittere eingesperrte Frau, die Fortsetzung. Unzählige Male daran gescheitert, sich anzubieten. Arbeitet schwarz, als Kindermädchen der kleinen Palastherrin.         X

Qiu Haitang: Nachdem sie Shen Qingqius Ruf heruntergezogen hatte, ging sie angeblich glücklich mit Luo Binghe ins Schlafzimmer. Warum wanderte sie immer noch wie eine Landstreicherin umher?      X

Die drei taoistischen Nonnen: Eine Sekunde im Rampenlicht. Hallo und auf Wiedersehen.      XXX

Beim Durchsehen dieser Liste war Luo Binghe wirklich... in einem schrecklichen Zustand gelandet!

Und das als die gesunde und starke männliche Hauptrolle eines Hengstromans! Geht es dir gut oder nicht?

Ein vollkommen intakter Harem war bis zu dem Punkt zusammengebrochen, an dem er wie Rauch verflog. Wenn dies ein Roman wäre und sich die Handlung bis zu diesem Punkt entwickelt hätte, ohne dass der Protagonist eine einzige Frau gesammelt hätte, welche Zufriedenheitspunkte wären dann noch vorhanden?!

Shen Qingqiu rief umgehend das System auf, um die Punktewerte der verschiedenen Kategorien zu überprüfen. Unerwartet stellte er fest, dass die Zufriedenheitspunkte der Protagonisten, unterhalb der B-Punkte, nicht nur nicht gesunken, sondern sogar auf über neunhundert gestiegen waren.

Da viele der Punkte hinzugefügt wurden, während das System offline war und sich im Ruhezustand befunden hatte, hatte er die Benachrichtigung nicht erhalten. Shen Qingqiu stieß die vielen neuen Fenster mit detaillierten Berechnungen auf, die er unwissentlich erhalten hatte. Mit ihnen aufgereiht waren ein Haufen neuer Aufzeichnungen.

[ Ning Yingying: Untergraben der Vorstellung einer weiblichen Figur, die eine hirnlose Märtyrerin für die Liebe ist. B-Punkt +100. ]

[ Ming Fan: Hat die Vorstellung einer Nebenfigur, der ein unlogischer Idiot ist, untergraben. + 50.]

[ Liu Mingyan: Hat die Vorstellung einer weiblichen Figur als unsinnige Märtyrerin der Liebe untergraben. B-Punkte +150. ]

Die allgegenwärtigen weiblichen Liebesmärtyrerfiguren und das idiotische Kanonenfutter: Diese beiden Punkte zusammen machten die klassischen Landminenelemente von Hengstromanen aus. Jetzt waren die weiblichen Charaktere keine beziehungsbasierten Märtyrerinnen für die männliche Hauptrolle mehr und die EQs und IQs der Nebencharaktere waren auch gestiegen, also waren natürlich auch die B-Punkte gestiegen. Das verstand Shen Qingqiu.

Aber während Luo Binghe kein einziges Mädchen ins Bett gebracht hatte, hatte das System keinen seiner Zufriedenheitspunkte abgezogen — dieser Teil war unlogisch!

Könnte es sein, dass die Zufriedenheitspunkte der männlichen Hauptrolle derzeit nicht mehr an die männliche Hauptrolle selbst gebunden waren? Oder anders ausgedrückt: Was war der Grund dafür, dass die 'Zufriedenheit' der männlichen Hauptrolle nicht mehr in solchen Freuden lag?

Könnte es sein ...

Shen Qingqiu konnte dem Drang nicht widerstehen, seinen Blick zu heben und Luo Binghes düsteren Gesichtsausdruck zu betrachten. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass er ihn nicht mehr direkt anstarren konnte.

Es war kriminell — könnte es sein, dass er eine ansonsten total gute männliche Hauptrolle eines Hengstromans aufgezogen hatte… um asexuell zu sein?!

Shen Qingqiu schloss die Fenster. Seine Gefühle waren kompliziert. Dann bemerkte er, dass irgendetwas an seinem Standort nicht ganz stimmte.

Gerade eben war er definitiv im Huan-Hua-Palast gewesen und hatte sich um seine eigenen Angelegenheiten gekümmert, also wie war er schließlich in einen bewaldeten Hain gelaufen, ohne es zu bemerken? Und ganz gleich, wie er ihn betrachtete, es war ein Bambuswald, der ihm auffallend bekannt vorkam.

Der Bambuswald raschelte, während eine sanfte Brise durch ihn wehte. Shen Qingqiu musste nicht einmal die Identität des Ortes erraten. Selbst wenn ihm nur eine Ecke dieses Ortes gezeigt worden wäre, hätte er gewusst, wo er war.

Der Cang-Qiong-Berg, der Qing-Jing-Gipfel.

Wie konnte er den Ort nicht kennen, an dem er sich bisher für die längste Zeit seines Lebens versteckt hatte?

[ Ihr aktueller Aufenthaltsort: das Land von Luo Binghes Traumreich. ]

Als Luo Binghes Bewusstsein instabil war und seine Schwankungen besonders groß waren, waren Außenstehende oft davon betroffen und wurden in ein Traumreich gesaugt, das so groß war wie ein tiefer Strudel. Oder man könnte sagen, sie wurden zu Kollateralschäden von Luo Binghes unvergleichlich, riesigem, schwarzen Loch seiner Vorstellungskraft. Ein konkretes Beispiel sah man am Anfang, der Meng Mo Fall von damals.

Shen Qingqiu war damals mit Luo Binghe durch das Szenario von Meng Mo gelaufen. Dies funktionierte nach dem gleichen Prinzip wie 'Fremde beim ersten Mal, aber Vertraute beim zweiten Mal'. Es war ähnlich, wie wenn man nach dem einmaligen Verbinden mit einem Wi-Fi-Netzwerk sich dann beim zweiten Mal automatisch eine Verbindung herstellte, ohne das Passwort noch einmal eingeben zu müssen.

Shen Qingqiu berührte schnell sein eigenes Gesicht und fand keinen Bart. Innerhalb des Traumreichs kehrte er zu seinem ursprünglichen Aussehen zurück und das hinterließ ihm absolut kein Gefühl der Sicherheit. Gerade als er daran dachte, einen Platz zum Verstecken zu finden und darauf zu warten, dass Luo Binghe alleine aufwachte, kamen einige Schüler in Zweier- und Dreiergruppen auf ihn zu und Shen Qingqiu blieb ruckartig stehen, wobei er völlig vergaß, sich zu verbergen.

Das Problem war, dass obwohl der Ausdruck auf diesen kommenden und gehenden Schülern leicht hölzern war, jeder einzelne von ihnen Nasen und Augen hatte und ihre Gesichtszüge vollständig waren. Shen Qingqiu könnte sogar einige von ihnen  benennen.

Nicht einmal Meng Mo war in der Lage, gleichzeitig eine riesige Barriere aufrechtzuerhalten und dabei das Gesicht der Lebensformen darin sicherzustellen. Doch Luo Binghe konnte es bereits und das so detailliert.

Obwohl Shen Qingqiu schon lange wusste, dass Luo Binghes übermächtige Fähigkeiten den Himmel in den Schatten stellen könnten, konnte er immer noch nicht anders, als einen Seufzer auszustoßen: „Unglaublich.“

Nachdem er den kleinen Bambuswald verlassen hatte, stieß er auf das Qing-Jing-Bambushaus. Zwischen den verstreuten Bambusstämmen, von denen einige hoch und einige niedrig waren, floss Quellwasser in rauschenden Strömen, plätscherte rhythmisch und reflektierte das Sonnenlicht in einem Regenbogen aus Farben. Shen Qingqiu war besorgt, dass Luo Binghe im Haus war und stoppte seine Schritte. Nachdem er unzählige Male durch diesen Bambuswald geschlendert war, fand er schnell ein Versteck und blieb im Schatten stehen.

Plötzlich ertönte das Geräusch von Schritten auf Laub und aus dem überlappenden, grünen Bambus kam ein junger Mann in Weiß heraus, fünfzehn oder sechzehn Jahre alt.

Die Haut dieses Jungen war hell und er schien den ganzen Weg hierher gerannt zu sein. Eine Schweißschicht bedeckte seine Stirn, während seine Wangen rosig waren, was für einen unglaublich entzückenden Anblick sorgte. Die Linien seiner Augen und Brauen waren präzise, ohne scharf zu sein, und sie strahlten ein Gefühl jugendlicher Unerfahrenheit aus.

Shen Qingqiu trauerte wider Willen. Es war lange her, dass er den jugendliche Luo Binghe, diese kleine, erfrischende Sonne, gesehen hatte.

Während seiner Kultivierung auf dem Qing-Jing-Gipfel trug Luo Binghe gerne Weiß. Aber nachdem seine rebellische Phase begonnen hatte, trug der inkarnierte Teufel Luo Binghe nur noch Schwarz, so ziemlich das genaue Gegenteil von früher. Diese jugendliche Zärtlichkeit war noch mehr eine Erinnerung und sie war überhaupt nicht mehr zu erkennen.

Luo Binghe schriet vorwärts und rief in bester Laune: „Shizun?“

Shen Qingqiu war im Schatten verborgen, also war dieser Ruf natürlich nicht für ihn bestimmt. Er drehte seinen Blick um und erwartete, dass er eine Gestalt in blaugrünen Roben am anderen Ende des Kopfsteinpflasterweges stehen sehen würde.

Der 'Shen Qingqiu', der aus Erinnerungen im Traumreich geschmiedet wurde, stand inmitten eines grünen, blühenden Bambusstreifens. Seine Gestalt war schlank, genauso wie ein dünner Bambushalm, sein Gesichtsausdruck war unbeirrt und strahlte die kühle Aura eines Unsterblichen aus, während seine Haltung buchstäblich etwas andersweltlich war. Als Zuschauer beurteilte ihn der jetzige Shen Qingqiu von Kopf bis Fuß und er musste immer noch applaudieren.

Er war dazu imstande gewesen, ihn auf diesem Niveau zu imitieren. Seine Begabung war wirklich zu grandios!

Auch dass Luo Binghe all diese winzigen Details perfekt wiederherstellen konnte — wie es von dem Mann zu erwarten war, der Meng Mo höchst persönlich nachfolgen würde!

Der Shen Qingqiu inmitten des Bambusses schien in Gedanken versunken zu sein. Er legte den Kopf schief und fragte: „Fertig gelaufen?“

Luo Binghe nickte: „Zehn Runden ... Alle fertig.“

Shen Qingqiu erinnerte sich schließlich, was für eine Erinnerung das war.

Die 'zehn Runden', von denen Luo Binghe sprach, bezogen sich auf zehn Runden um den Zaun, der den Qing-Jing-Gipfel umgab. Shen Qingqiu hatte ihm diese Aufgabe persönlich übertragen.

Er hatte es nicht getan, weil er ein verdrehtes Hobby hatte, der großen männlichen Hauptrolle körperliche Züchtigung aufzuerlegen, sondern weil er es einfach nicht länger ertragen konnte. Nachdem er Luo Binghes Ausbildung übernommen hatte, hatte er darüber nachgedacht und entschieden, dass er, da er von nun an ein Vorbild und ein würdiger Lehrer sein sollte, zumindest wollte, das er ihn ordentlich unterrichtete. Auf diese Weise würde er, nachdem sie sich in der Zukunft miteinander in die Haare gekriegt hatten, in der Lage sein, den Satz auszusprechen, ohne vor Scham rot zu werden, bevor diese Worte seinen Mund verließen: „In einer Meister-Schüler-Beziehung liegt die Gnade des weitergegebenen Wissens.“

In seinem Lehrplan war das Erste, was korrigiert werden musste, das absolute Durcheinander von Luo Binghes Beinarbeit und Kondition.

Was die Ergebnisse betraf, so hatte er sie vor einer Weile erwähnt. Das bedeutendste Ergebnis war, dass Luo Binghe ihm einen halben Monat lang wiederholt in die Arme gefallen war.

„Noch einmal“, sagte Shen Qingqiu, „Wenn du es diesmal wieder falsch machst, sind es nicht nur zehn Runden.“

Luo Binghe führte das Manöver noch einmal gehorsam aus. Obwohl er dieses Mal sicherlich nicht in Shen Qingqius Arme fiel, knickten stattdessen seine Beine ein und er umarmte Shen Qingqius Taille direkt.

Shen Qingqiu schwieg.

„Shizun, dieser Schüler ist nutzlos“, sagte Luo Binghe schroff, „Nach zehn Runden haben meine Beine keine Kraft mehr.“

Shen Qingqiu seufzte.

„Dieser Schüler weiß es schon“, sagte Luo Binghe vollkommen bewusst, „Zwanzig Runden.“

„Welche Runden? Geh zurück und ruh dich aus“, Shen Qingqiu hatte kein Interesse daran, Kinder zu misshandeln.

Damals hatte er wirklich aufgegeben.

Lass ihn tun, was er will. Kein Unterricht mehr! Es ergibt sich überhaupt kein Erfolgserlebnis. Ich werfe die Lehrbücher weg!

Luo Binghe war nicht bewusst, dass er zu einer hoffnungslosen Sorge erklärt worden war.

„Danke, Shizun!“, sagte er in Hochstimmung, „Dieser Schüler wird die zwanzig Runden morgen auf jeden Fall nachholen. Gibt es irgendetwas, das Shizun heute Abend essen möchte?“

Auf der Seite rieb sich Shen Qingqiu die Stirn. Luo Binghe war in jenen Tagen... in einem außergewöhnlichen Maße wirklich naiv und süß gewesen.

Ausdauernde Arbeit, Groll, Schläge und Beschimpfungen, getreten, geschlagen und zum Kochen verdonnert zu werden ... Ähm, natürlich hatte Shen Qingqiu die meisten dieser Dinge nicht getan.

Nachdem Shen Qingqiu beobachtet hatte, wie dieses gekünstelte Meister-Schüler-Paar, einer groß und einer klein, davonging, während es sich unterhielt, kam er aus seinem Versteck und verfiel in verwirrte Gedanken.

Innerhalb der Traumreichbarriere, die Luo Binghe für sich selbst errichtet hatte, würde er sich natürlich dafür entscheiden, nur seine wunderbarsten Erinnerungen aufzubauen. Wenn irgendwelche Erinnerungen an den Qing-Jing-Gipfel eine solche Nische besetzen könnten, dann sollten es die sein, die mit Ning Yingying zu tun hatten. Warum also hatte sich diese Szene hier abgespielt?

Das Traumreich spiegelte genau die Wahrheit des Herzens eines Menschen wider — es würde weder lügen noch täuschen. In Shen Qingqiu stieg ein Gedanke auf, den er nie zuvor gehabt hatte.

Dieser Gedanke war zugegebenermaßen ein bisschen schamlos, aber… wahrscheinlich, vielleicht, möglicherweise nahmen diese Erinnerungen an diese 'Meister-Schüler-Beziehung' einen besseren Platz in Luo Binghes Herzen ein, als Shen Qingqiu bislang gedacht hatte?

Zu guter Letzt konnte man sagen, dass er Luo Binghe ein paar Momente geschenkt hatte, die anständig genug waren, um darauf zurückzublicken. Vielleicht war die ganze Sache also doch nicht völlig unerträglich gewesen.

Aber ... war Luo Binghe ein bisschen masochistisch? Shen Qingqiu wollte ihn nicht schlecht reden, aber eine normale Erinnerung daran, dass er mit zehn oder zwanzig Runden bestraft wurde, konnte doch nie etwas mit dem Wort 'wunderbar' zu tun haben, oder??!

Plötzlich entfaltete sich ein Hauch kühler Luft über Shen Qingqius Nacken, als würde ein Blick und Kälte seinen Rücken entlang nach oben kriechen.

Unbewusst blickte er hinter sich. Luo Binghe, in Schwarz gekleidet, lehnte an einem Bambusstamm und starrte ihn direkt an.

Die beiden starrten sich wortlos an.

In Fleisch und Blut ...?

In Fleisch und Blut!

Shen Qingqius anfänglicher Reflex war nicht, eine Pause einzulegen, sondern unbewegt an Ort und Stelle zu bleiben und seinen Gesichtsausdruck so natürlich wie möglich anzupassen.

Das lag nicht daran, dass er Angst hatte, steif zu werden und die Beine zu schwach waren, um zu rennen, denn mehr als dass hatte er sich psychologisch schon lange darauf vorbereitet, auf diese Art von Szenario zu stoßen. Laufen konnte das Problem überhaupt nicht lösen. Diese Barriere war das Reich von Luo Binghe, also konnte er so schnell laufen, wie er wollte, und es wäre immer noch sinnlos.

Dieser gleichzeitig heiße und kalte Blick war weder seine Einbildung noch wäre es eine falsche Beschreibung gewesen. Luo Binghes Gesichtsausdruck schien wirklich sowohl Eis als auch Feuer zu sein — eine tiefe Kälte im Inneren sowie eine brennende Hitze. Die beiden Temperaturen kombinierten sich auf bizarre Weise und kondensierten in seinen Augen, die fest auf Shen Qingqius Gestalt fixiert waren.

Shen Qingqiu wappnete sich und ließ ihre Blicke sich treffen. Nach langer Zeit seufzte Luo Binghe zuerst. Er murmelte: „Träumen zu können ist auch etwas Wunderbares.“

Als Shen Qingqiu das hörte, wurde ihm klar, dass er es geschafft hatte, mit seinem riskanten Manöver davonzukommen.

Indem er all seinen Mut zusammennahm, hatte er das Spiel tatsächlich gewonnen. In diesem Moment hatte es Luo Binghes Zerstreutheit ermöglicht, dass Shen Qingqiu als Traumreichschöpfung betrachtet wurde.

Shen Qingqiu musterte Luo Binghe, der gegen den Bambus lehnte, den Blick auf ihn gerichtet. Er dachte an Luo Binghes betäubtes Erscheinungsbild in der Früh, ganz allein, auf dem Thron. Als er verglich, dass die Szene im Originalwerk von Luo Binghe von prächtigem Luxus umgeben war und jeder seiner Rufe von Hunderten beantwortet wurde, pochte Shen Qingqius Herz ein wenig, obwohl er versuchte, es zu stoppen.

Luo Binghe hatte keine einzige Frau an seiner Seite, die seine Verletzungen heilte, ihn verwöhnte und nach ihm fragte. Wie konnte sein Herz nicht pochen? Ein perfekter Hengst mit männlicher Hauptrolle war in einen solchen Zustand geraten. Welcher Mann könnte es ertragen, hinzusehen?

„Shizun, willst du nicht ein bisschen mit mir sprechen?“, fragte Luo Binghe.

In diesem Moment war Shen Qingqius Herz voller Sympathie für Luo Binghe: „In Ordnung“, sagte er freundschaftlich, „Worüber willst du reden?“

Als er sprach, versteifte sich Luo Binghe unerwartet, dann richtete er sich sofort auf und verließ den Bambusstamm, der Ausdruck auf seinem Gesicht war von leichtem Unglauben geprägt.

Oh nein, dachte Shen Qingqiu. War etwas falsch an der Reaktion, die ich mir ausgedacht habe?

Aber da er schon mit der Schauspielerei angefangen hatte, musste er bis zum Ende mitspielen. Er konnte absolut nicht auf dem halben Weg aufgeben. Verlegenheit war eine Kleinigkeit, seine Tarnung auffliegen zu lassen war es nicht. Shen Qingqiu lächelte: „Hast du diesen Meister nicht gebeten, mit dir zu sprechen?“

Er benutzte den Ton, den er in der Vergangenheit oft verwendet hatte, wenn er mit Luo Binghe interagierte. Luo Binghes Mundwinkel zuckte und er ging ohne Eile auf ihn zu. Shen Qingqiu hielt seinen Gesichtsausdruck ruhig, während er den Faltfächer in seiner Hand beiläufig sanft öffnete und schloss, wobei er die kleinen Bewegungen nutzte, um seine Angst zu lindern.

Luo Binghe schwieg einen Moment: „In der Vergangenheit hat Shizun nicht einmal einen Blick in meine Richtung geworfen und ist weggegangen, ohne mir Beachtung zu schenken. — Er vergaß, mit mir zu reden. Vielleicht ist meine Vorstellungskraft heute etwas zu nachsichtig.“

Shen Qingqius Herz rührte sich.

Obwohl er immer noch das Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmte, klangen diese Worte wirklich ein bisschen erbärmlich. Könnte es sein, dass ‘Shen Qingqiu’ ihn in Luo Binghes Gedanken immer mit Gleichgültigkeit behandelte, hochmütig und gefühllos war?

Hatte Luo Binghe wirklich leichte masochistische Tendenzen ...?

Als Shen Qingqiu dies ablenkte, begannen seine Hände sich unbewusst zu bewegen und in Übereinstimmung mit der natürlichen Ordnung tätschelte er Luo Binghes Kopf. Er hatte diese Aktion unzählige Male ausgeführt. Das Sprichwort besagte, dass es verboten sei, Männerköpfe und Frauenhüften zu berühren, aber je mehr man etwas 'verbat', desto mehr verspürte er den Drang, es zu tun.

Shen Qingqiu liebte es besonders, die Köpfe der Menschen zu tätscheln. Leider konnte er als Erwachsener dieser Art von groben Impulsen nicht oft nachgeben und außerdem ließ ihn niemand sie so anfassen, wie er es wollte. Glücklicherweise hatte der Luo Binghe der Vergangenheit nichts dagegen gehabt, als Shen Qingqiu seine Hände auf seinen Kopf legte, also hatte Shen Qingqiu ihn jedes Mal ziellos gestreichelt, bis es schließlich zur Gewohnheit geworden war. Und jetzt tat er es wieder.

Er hatte Luo Binghe kaum zwei- oder dreimal gestreichelt, als er überrascht wurde. Luo Binghe hob seinen eigenen Arm, seine rechte Hand umfasste Shen Qingqius linkes Handgelenk.

Shen Qingqius Gesichtsausdruck versteifte sich, als er dachte, Ist das nicht ein bisschen zu nah?

Unmittelbar danach war auch sein rechtes Handgelenk fest eingefangen worden. Shen Qingqiu hob schockiert den Kopf und spürte, wie seine Sicht verschwamm.

Etwas wie eine Feder streifte sanft seine Wange. Von oben auf seinen Lippen kam ein fremdes Gefühl, weich und leicht kühl.

Auf diese Weise öffneten sich seine Augen weit und er begegnete dem Blick, von Luo Binghes pechschwarzen Irispaaren. Seine Kehle zuckte einmal mühsam.

Er wollte sprechen, aber er konnte seinen Mund nicht öffnen. Weil ihm jemand auf die Lippen gebissen hatte.

Luo Binghe schloss die Augen, seine pechschwarzen Wimpern warfen geschwungene Schatten auf seine Wangen; es ließ ihn unglaublich liebenswert aussehen, aber seine Hände und sein Mund waren eine ganz andere Geschichte. Wütend hielt er Shen Qingqius Lippen zwischen seinen Zähnen und kaute, wobei die Aktion einen Hauch von kindlichem Groll in sich trug. Seine rechte Hand löste Shen Qingqius eingefrorenes Glied und bewegte sich stattdessen zur Mitte seiner Taille und drückte Shen Qingqiu in seine Arme. Obwohl ihre Statur ein wenig ähnlich waren, konnte er Shen Qingqiu immer noch mit der einfachen einarmigen Umarmung vollständig umarmen.

Shen Qingqius Weltanschauung brach wiederholt zusammen und formte sich neu, brach zusammen und formte sich neu und kreiste im Lichtstrom endlos umher. Was seinen Zusammenbruch durchbrach, war eine Systembenachrichtigung, begleitet von feierlicher Hintergrundmusik:

[ Zufriedenheitspunkte +500! Herzlichen Glückwunsch! Herzlichen Glückwunsch! Herzlichen Glückwunsch! Wichtiges muss dreimal gesagt werden! ]

„Was zum Teufel?!”, schnappte Shen Qingqiu in seinem Kopf.

Endlich verstand er warum seine Zufriedenheitspunkte nie gesunken waren, obwohl Luo Binghe mit keinem einzigen Mädchen geschlafen hatte, und weder Haut noch Haare von seinem unzähligen Harem von Schönheiten zu sehen waren.

Weil er Shen Qingqiu benutzte, um das Defizit auszugleichen, ah!

 

 

 

Erklärungen:

Die Fuchsverführerin (engl. Vixen seductess) ist eine glamouröse, attraktive Frau mit kämpferischen, verführerischen Fähigkeiten.




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