Shen Qingqiu hatte immer eine respektvolle Distanz gewahrt, wenn es um Kämpfe zwischen den weiblichen Charakteren ging, aber nachdem er dies beobachtet hatte, hatte er das Gefühl, dass die Kluft zwischen seinen Erwartungen und der Realität zu groß war, um sie zu ignorieren. Er eilte ihnen nach und beobachtete weiter.
„Es
tut mir leid, ich habe meine Pflichten vernachlässigt“, sagte Qin Wanyue,
während sie die Tränen zurückhielt, „Ich habe die kleine Palastherrin nicht
aufgehalten ...“
Sha
Hualing unterbrach sie schnell: „Es war allein deine Schuld! Ich habe gehört,
dass die Wahrung des Gesichts besonders für die Frauen des Menschenreichs
wichtig ist, aber selbst, wenn du es nicht geschafft hast, den Herrn zu
verführen, weigerst du dich schamlos zu gehen — Glaubst du, ein nettes Gesicht
macht alles aus? Außerdem ist es eine Sache, nicht zu gehen, aber du kannst
nicht einmal eine einzige Person richtig im Auge behalten. Du bist ihre Shijie,
also warum lässt du es zu, dass sie vor dem Herrn einen Wutanfall bekommt. Für
wen erniedrigst du dich und benimmst dich so erbärmlich?“
Als
Qin Wanyue Sha Hualing zuhörte, wie sie auf ihre Unzulänglichkeiten hinwies,
wollte sie vor Scham und Groll sterben. Sogar im Originalwerk hatte Sha Hualing
Qin Wanyue zutiefst gehasst und immer etwas an ihr bemängelt. Obwohl sie
diesmal nicht zusammen den Harem betreten hatten, schien sich ihre Beziehung
nicht im Geringsten verbessert zu haben.
Sha
Hualing drehte ihren Kopf und wechselte ihren
Gesichtsausdruck. Lächelnd sprach sie die kleine Palastherrin an: „Die
kleine Palastherrin hat in den letzten Jahren ein luxuriöses Leben geführt,
genau wie früher. Abgesehen von gelegentlichem Hausarrest hast du keine
wirklichen Misshandlungen erlitten, richtig? Also warum bist du so gekränkt?“
„Wer zur
Hölle bist du?“, fragte die kleine Palastherrin boshaft, „Wie kannst du, eine
unanständige Füchsverführerin wer weiß von wo, es wagen, hier im Huan-Hua-Palast so mit
mir zu sprechen! Wie unterscheidet sich die Art und Weise, wie er mich
behandelt, von einem gehaltenen Schwein?!“
Sha
Hualing schmollte: „Warum sagt mir dann die kleine Palastherrin nicht: Was kann
sie denn anderes als Fressen und schlafen wie das Tier, das sie aufgezogen
hat?“
Qin
Wanyue schluchzte: „Kleine Palastherrin, gehen wir. Alles... hat sich längst
geändert ...“
„Aus
welchen Gründen kannst du mich dazu bringen, zu gehen?!“, sagte die kleine
Palastherrin hysterisch, „Das ist mein Huan-Hua-Palast — meiner! Geht mir aus
dem Weg! Ihr seid alle Verräter!“
Die
Szene geriet in völliges Chaos und die Menschen flohen in alle Richtungen.
Shen
Qingqiu hatte einige äußerst schockierende Wahrheiten entdeckt. Er zählte sie
sorgfältig an seinen Fingern ab:
Sha
Hualing: Wurde nicht zu einer Ehefrau, sondern zu einer Untergebenen gemacht.
Arbeitete sich mit Überstunden zu Tode und ihr Lohn und ihre Leistungen sind
nichts Besonderes. Von der Einstellung ihres Chefs her sieht es auch nicht so
aus, als ob er eine Büroromanze will. X
Liu
Mingyan: Hatte nicht einmal die Schwertquaste als Liebesbeweis ausgetauscht. X
Ning
Yingying: Nach der Pubertät hörte sie auf, die fanatische Liebe ihrer naiven
Jugend gegenüber der männlichen Hauptrolle zu demonstrieren. Schien ganz so,
als wäre ihr liebeskrankes Gehirn geheilt worden. X
Die
kleine Palastherrin: Bittere eingesperrte Frau. Sie selbst sagte, dass Luo
Binghe sie wie ein gehaltenes Schwein behandelt. X
Qin
Wanyue: Bittere eingesperrte Frau, die Fortsetzung. Unzählige Male daran
gescheitert, sich anzubieten. Arbeitet schwarz, als Kindermädchen der kleinen
Palastherrin. X
Qiu
Haitang: Nachdem sie Shen Qingqius Ruf heruntergezogen hatte, ging sie
angeblich glücklich mit Luo Binghe ins Schlafzimmer. Warum wanderte sie immer
noch wie eine Landstreicherin umher? X
Die
drei taoistischen Nonnen: Eine Sekunde im Rampenlicht. Hallo und auf
Wiedersehen. XXX
…
Beim
Durchsehen dieser Liste war Luo Binghe wirklich... in einem schrecklichen
Zustand gelandet!
Und
das als die gesunde und starke männliche Hauptrolle eines Hengstromans! Geht es
dir gut oder nicht?
Ein
vollkommen intakter Harem war bis zu dem Punkt zusammengebrochen, an dem er wie
Rauch verflog. Wenn dies ein Roman wäre und sich die Handlung bis zu diesem
Punkt entwickelt hätte, ohne dass der Protagonist eine einzige Frau gesammelt
hätte, welche Zufriedenheitspunkte wären dann noch vorhanden?!
Shen
Qingqiu rief umgehend das System auf, um die Punktewerte der verschiedenen
Kategorien zu überprüfen. Unerwartet stellte er fest, dass die
Zufriedenheitspunkte der Protagonisten, unterhalb der B-Punkte, nicht nur nicht
gesunken, sondern sogar auf über neunhundert gestiegen waren.
Da viele
der Punkte hinzugefügt wurden, während das System offline war und sich im
Ruhezustand befunden hatte, hatte er die Benachrichtigung nicht erhalten. Shen
Qingqiu stieß die vielen neuen Fenster mit detaillierten Berechnungen auf, die
er unwissentlich erhalten hatte. Mit ihnen aufgereiht waren ein Haufen neuer
Aufzeichnungen.
[
Ning Yingying: Untergraben der Vorstellung einer weiblichen Figur, die eine
hirnlose Märtyrerin für die Liebe ist. B-Punkt +100. ]
[
Ming Fan: Hat die Vorstellung einer Nebenfigur, der ein unlogischer Idiot ist,
untergraben. + 50.]
[
Liu Mingyan: Hat die Vorstellung einer weiblichen Figur als unsinnige
Märtyrerin der Liebe untergraben. B-Punkte +150. ]
…
Die
allgegenwärtigen weiblichen Liebesmärtyrerfiguren und das idiotische
Kanonenfutter: Diese beiden Punkte zusammen machten die klassischen
Landminenelemente von Hengstromanen aus. Jetzt waren die weiblichen Charaktere
keine beziehungsbasierten Märtyrerinnen für die männliche Hauptrolle mehr und
die EQs und IQs der Nebencharaktere waren auch gestiegen, also waren natürlich
auch die B-Punkte gestiegen. Das verstand Shen Qingqiu.
Aber
während Luo Binghe kein einziges Mädchen ins Bett gebracht hatte, hatte das
System keinen seiner Zufriedenheitspunkte abgezogen — dieser Teil war
unlogisch!
Könnte
es sein, dass die Zufriedenheitspunkte der männlichen Hauptrolle derzeit nicht
mehr an die männliche Hauptrolle selbst gebunden waren? Oder anders
ausgedrückt: Was war der Grund dafür, dass die 'Zufriedenheit' der männlichen
Hauptrolle nicht mehr in solchen Freuden lag?
Könnte
es sein ...
Shen
Qingqiu konnte dem Drang nicht widerstehen, seinen Blick zu heben und Luo
Binghes düsteren Gesichtsausdruck zu betrachten. Er hatte plötzlich das Gefühl,
dass er ihn nicht mehr direkt anstarren konnte.
Es
war kriminell — könnte es sein, dass er eine ansonsten total gute männliche
Hauptrolle eines Hengstromans aufgezogen hatte… um asexuell zu sein?!
Shen
Qingqiu schloss die Fenster. Seine Gefühle waren kompliziert. Dann bemerkte er,
dass irgendetwas an seinem Standort nicht ganz stimmte.
Gerade
eben war er definitiv im Huan-Hua-Palast gewesen und hatte sich um seine
eigenen Angelegenheiten gekümmert, also wie war er schließlich in einen
bewaldeten Hain gelaufen, ohne es zu bemerken? Und ganz gleich, wie er ihn
betrachtete, es war ein Bambuswald, der ihm auffallend bekannt vorkam.
Der
Bambuswald raschelte, während eine sanfte Brise durch ihn wehte. Shen Qingqiu
musste nicht einmal die Identität des Ortes erraten. Selbst wenn ihm nur eine
Ecke dieses Ortes gezeigt worden wäre, hätte er gewusst, wo er war.
Der
Cang-Qiong-Berg, der Qing-Jing-Gipfel.
Wie
konnte er den Ort nicht kennen, an dem er sich bisher für die längste Zeit
seines Lebens versteckt hatte?
[
Ihr aktueller Aufenthaltsort: das Land von Luo Binghes Traumreich. ]
Als
Luo Binghes Bewusstsein instabil war und seine Schwankungen besonders groß
waren, waren Außenstehende oft davon betroffen und wurden in ein Traumreich
gesaugt, das so groß war wie ein tiefer Strudel. Oder man könnte sagen, sie
wurden zu Kollateralschäden von Luo Binghes unvergleichlich, riesigem,
schwarzen Loch seiner Vorstellungskraft. Ein konkretes Beispiel sah man am
Anfang, der Meng Mo Fall von damals.
Shen
Qingqiu war damals mit Luo Binghe durch das Szenario von Meng Mo gelaufen. Dies
funktionierte nach dem gleichen Prinzip wie 'Fremde beim ersten Mal, aber
Vertraute beim zweiten Mal'. Es war ähnlich, wie wenn man nach dem einmaligen
Verbinden mit einem Wi-Fi-Netzwerk sich dann beim zweiten Mal automatisch eine
Verbindung herstellte, ohne das Passwort noch einmal eingeben zu müssen.
Shen
Qingqiu berührte schnell sein eigenes Gesicht und fand keinen Bart. Innerhalb
des Traumreichs kehrte er zu seinem ursprünglichen Aussehen zurück und das
hinterließ ihm absolut kein Gefühl der Sicherheit. Gerade als er daran dachte,
einen Platz zum Verstecken zu finden und darauf zu warten, dass Luo Binghe
alleine aufwachte, kamen einige Schüler in Zweier- und Dreiergruppen auf ihn zu
und Shen Qingqiu blieb ruckartig stehen, wobei er völlig vergaß, sich zu
verbergen.
Das
Problem war, dass obwohl der Ausdruck auf diesen kommenden und gehenden
Schülern leicht hölzern war, jeder einzelne von ihnen Nasen und Augen hatte und
ihre Gesichtszüge vollständig waren. Shen Qingqiu könnte sogar einige von ihnen benennen.
Nicht
einmal Meng Mo war in der Lage, gleichzeitig eine riesige Barriere
aufrechtzuerhalten und dabei das Gesicht der Lebensformen darin
sicherzustellen. Doch Luo Binghe konnte es bereits und das so detailliert.
Obwohl
Shen Qingqiu schon lange wusste, dass Luo Binghes übermächtige Fähigkeiten den
Himmel in den Schatten stellen könnten, konnte er immer noch nicht anders, als
einen Seufzer auszustoßen: „Unglaublich.“
Nachdem
er den kleinen Bambuswald verlassen hatte, stieß er auf das
Qing-Jing-Bambushaus. Zwischen den verstreuten Bambusstämmen, von denen einige
hoch und einige niedrig waren, floss Quellwasser in rauschenden Strömen,
plätscherte rhythmisch und reflektierte das Sonnenlicht in einem Regenbogen aus
Farben. Shen Qingqiu war besorgt, dass Luo Binghe im Haus war und stoppte seine
Schritte. Nachdem er unzählige Male durch diesen Bambuswald geschlendert war,
fand er schnell ein Versteck und blieb im Schatten stehen.
Plötzlich
ertönte das Geräusch von Schritten auf Laub und aus dem überlappenden, grünen
Bambus kam ein junger Mann in Weiß heraus, fünfzehn oder sechzehn Jahre alt.
Die
Haut dieses Jungen war hell und er schien den ganzen Weg hierher gerannt zu
sein. Eine Schweißschicht bedeckte seine Stirn, während seine Wangen rosig
waren, was für einen unglaublich entzückenden Anblick sorgte. Die Linien seiner
Augen und Brauen waren präzise, ohne scharf zu sein, und sie strahlten ein
Gefühl jugendlicher Unerfahrenheit aus.
Shen
Qingqiu trauerte wider Willen. Es war lange her, dass er den jugendliche Luo
Binghe, diese kleine, erfrischende Sonne, gesehen hatte.
Während
seiner Kultivierung auf dem Qing-Jing-Gipfel trug Luo Binghe gerne Weiß. Aber
nachdem seine rebellische Phase begonnen hatte, trug der inkarnierte Teufel Luo
Binghe nur noch Schwarz, so ziemlich das genaue Gegenteil von früher. Diese
jugendliche Zärtlichkeit war noch mehr eine Erinnerung und sie war überhaupt
nicht mehr zu erkennen.
Luo
Binghe schriet vorwärts und rief in bester Laune: „Shizun?“
Shen
Qingqiu war im Schatten verborgen, also war dieser Ruf natürlich nicht für ihn
bestimmt. Er drehte seinen Blick um und erwartete, dass er eine Gestalt in
blaugrünen Roben am anderen Ende des Kopfsteinpflasterweges stehen sehen würde.
Der
'Shen Qingqiu', der aus Erinnerungen im Traumreich geschmiedet wurde, stand
inmitten eines grünen, blühenden Bambusstreifens. Seine Gestalt war schlank,
genauso wie ein dünner Bambushalm, sein Gesichtsausdruck war unbeirrt und
strahlte die kühle Aura eines Unsterblichen aus, während seine Haltung
buchstäblich etwas andersweltlich war. Als Zuschauer beurteilte ihn der jetzige
Shen Qingqiu von Kopf bis Fuß und er musste immer noch applaudieren.
Er
war dazu imstande gewesen, ihn auf diesem Niveau zu imitieren. Seine Begabung
war wirklich zu grandios!
Auch
dass Luo Binghe all diese winzigen Details perfekt wiederherstellen konnte —
wie es von dem Mann zu erwarten war, der Meng Mo höchst persönlich nachfolgen
würde!
Der
Shen Qingqiu inmitten des Bambusses schien in Gedanken versunken zu sein. Er
legte den Kopf schief und fragte: „Fertig gelaufen?“
Luo
Binghe nickte: „Zehn Runden ... Alle fertig.“
Shen
Qingqiu erinnerte sich schließlich, was für eine Erinnerung das war.
Die
'zehn Runden', von denen Luo Binghe sprach, bezogen sich auf zehn Runden um den
Zaun, der den Qing-Jing-Gipfel umgab. Shen Qingqiu hatte ihm diese Aufgabe
persönlich übertragen.
Er
hatte es nicht getan, weil er ein verdrehtes Hobby hatte, der großen männlichen
Hauptrolle körperliche Züchtigung aufzuerlegen, sondern weil er es einfach
nicht länger ertragen konnte. Nachdem er Luo Binghes Ausbildung übernommen
hatte, hatte er darüber nachgedacht und entschieden, dass er, da er von nun an
ein Vorbild und ein würdiger Lehrer sein sollte, zumindest wollte, das er ihn
ordentlich unterrichtete. Auf diese Weise würde er, nachdem sie sich in der
Zukunft miteinander in die Haare gekriegt hatten, in der Lage sein, den Satz
auszusprechen, ohne vor Scham rot zu werden, bevor diese Worte seinen Mund
verließen: „In einer Meister-Schüler-Beziehung liegt die Gnade des
weitergegebenen Wissens.“
In
seinem Lehrplan war das Erste, was korrigiert werden musste, das absolute
Durcheinander von Luo Binghes Beinarbeit und Kondition.
Was
die Ergebnisse betraf, so hatte er sie vor einer Weile erwähnt. Das
bedeutendste Ergebnis war, dass Luo Binghe ihm einen halben Monat lang
wiederholt in die Arme gefallen war.
„Noch
einmal“, sagte Shen Qingqiu, „Wenn du es diesmal wieder falsch machst, sind es
nicht nur zehn Runden.“
Luo
Binghe führte das Manöver noch einmal gehorsam aus. Obwohl er dieses Mal
sicherlich nicht in Shen Qingqius Arme fiel, knickten stattdessen seine Beine
ein und er umarmte Shen Qingqius Taille direkt.
Shen
Qingqiu schwieg.
„Shizun,
dieser Schüler ist nutzlos“, sagte Luo Binghe schroff, „Nach zehn Runden haben
meine Beine keine Kraft mehr.“
Shen
Qingqiu seufzte.
„Dieser
Schüler weiß es schon“, sagte Luo Binghe vollkommen bewusst, „Zwanzig Runden.“
„Welche
Runden? Geh zurück und ruh dich aus“, Shen Qingqiu hatte kein Interesse daran,
Kinder zu misshandeln.
Damals
hatte er wirklich aufgegeben.
Lass
ihn tun, was er will. Kein Unterricht mehr! Es ergibt sich überhaupt kein
Erfolgserlebnis. Ich werfe die Lehrbücher weg!
Luo
Binghe war nicht bewusst, dass er zu einer hoffnungslosen Sorge erklärt worden
war.
„Danke,
Shizun!“, sagte er in Hochstimmung, „Dieser Schüler wird die zwanzig Runden
morgen auf jeden Fall nachholen. Gibt es irgendetwas, das Shizun heute Abend
essen möchte?“
Auf
der Seite rieb sich Shen Qingqiu die Stirn. Luo Binghe war in jenen Tagen... in
einem außergewöhnlichen Maße wirklich naiv und süß gewesen.
Ausdauernde
Arbeit, Groll, Schläge und Beschimpfungen, getreten, geschlagen und zum Kochen
verdonnert zu werden ... Ähm, natürlich hatte Shen Qingqiu die meisten dieser
Dinge nicht getan.
Nachdem
Shen Qingqiu beobachtet hatte, wie dieses gekünstelte Meister-Schüler-Paar,
einer groß und einer klein, davonging, während es sich unterhielt, kam er aus
seinem Versteck und verfiel in verwirrte Gedanken.
Innerhalb
der Traumreichbarriere, die Luo Binghe für sich selbst errichtet hatte, würde
er sich natürlich dafür entscheiden, nur seine wunderbarsten Erinnerungen
aufzubauen. Wenn irgendwelche Erinnerungen an den Qing-Jing-Gipfel eine solche
Nische besetzen könnten, dann sollten es die sein, die mit Ning Yingying zu tun
hatten. Warum also hatte sich diese Szene hier abgespielt?
Das
Traumreich spiegelte genau die Wahrheit des Herzens eines Menschen wider — es
würde weder lügen noch täuschen. In Shen Qingqiu stieg ein Gedanke auf, den er
nie zuvor gehabt hatte.
Dieser
Gedanke war zugegebenermaßen ein bisschen schamlos, aber… wahrscheinlich,
vielleicht, möglicherweise nahmen diese Erinnerungen an diese
'Meister-Schüler-Beziehung' einen besseren Platz in Luo Binghes Herzen ein, als
Shen Qingqiu bislang gedacht hatte?
Zu guter
Letzt konnte man sagen, dass er Luo Binghe ein paar Momente geschenkt hatte,
die anständig genug waren, um darauf zurückzublicken. Vielleicht war die ganze
Sache also doch nicht völlig unerträglich gewesen.
Aber
... war Luo Binghe ein bisschen masochistisch? Shen Qingqiu wollte ihn nicht
schlecht reden, aber eine normale Erinnerung daran, dass er mit zehn oder
zwanzig Runden bestraft wurde, konnte doch nie etwas mit dem Wort 'wunderbar'
zu tun haben, oder??!
Plötzlich
entfaltete sich ein Hauch kühler Luft über Shen Qingqius Nacken, als würde ein
Blick und Kälte seinen Rücken entlang nach oben kriechen.
Unbewusst
blickte er hinter sich. Luo Binghe, in Schwarz gekleidet, lehnte an einem
Bambusstamm und starrte ihn direkt an.
Die
beiden starrten sich wortlos an.
In
Fleisch und Blut ...?
In
Fleisch und Blut!
Shen
Qingqius anfänglicher Reflex war nicht, eine Pause einzulegen, sondern unbewegt
an Ort und Stelle zu bleiben und seinen Gesichtsausdruck so natürlich wie
möglich anzupassen.
Das
lag nicht daran, dass er Angst hatte, steif zu werden und die Beine zu schwach
waren, um zu rennen, denn mehr als dass hatte er sich psychologisch schon lange
darauf vorbereitet, auf diese Art von Szenario zu stoßen. Laufen konnte das
Problem überhaupt nicht lösen. Diese Barriere war das Reich von Luo Binghe,
also konnte er so schnell laufen, wie er wollte, und es wäre immer noch
sinnlos.
Dieser
gleichzeitig heiße und kalte Blick war weder seine Einbildung noch wäre es eine
falsche Beschreibung gewesen. Luo Binghes Gesichtsausdruck schien wirklich
sowohl Eis als auch Feuer zu sein — eine tiefe Kälte im Inneren sowie eine
brennende Hitze. Die beiden Temperaturen kombinierten sich auf bizarre Weise
und kondensierten in seinen Augen, die fest auf Shen Qingqius Gestalt fixiert
waren.
Shen
Qingqiu wappnete sich und ließ ihre Blicke sich treffen. Nach langer Zeit
seufzte Luo Binghe zuerst. Er murmelte: „Träumen zu können ist auch etwas
Wunderbares.“
Als
Shen Qingqiu das hörte, wurde ihm klar, dass er es geschafft hatte, mit seinem
riskanten Manöver davonzukommen.
Indem
er all seinen Mut zusammennahm, hatte er das Spiel tatsächlich gewonnen. In
diesem Moment hatte es Luo Binghes Zerstreutheit ermöglicht, dass Shen Qingqiu
als Traumreichschöpfung betrachtet wurde.
Shen
Qingqiu musterte Luo Binghe, der gegen den Bambus lehnte, den Blick auf ihn
gerichtet. Er dachte an Luo Binghes betäubtes Erscheinungsbild in der Früh,
ganz allein, auf dem Thron. Als er verglich, dass die Szene im Originalwerk von
Luo Binghe von prächtigem Luxus umgeben war und jeder seiner Rufe von Hunderten
beantwortet wurde, pochte Shen Qingqius Herz ein wenig, obwohl er versuchte, es
zu stoppen.
Luo
Binghe hatte keine einzige Frau an seiner Seite, die seine Verletzungen heilte,
ihn verwöhnte und nach ihm fragte. Wie konnte sein Herz nicht pochen? Ein
perfekter Hengst mit männlicher Hauptrolle war in einen solchen Zustand
geraten. Welcher Mann könnte es ertragen, hinzusehen?
„Shizun,
willst du nicht ein bisschen mit mir sprechen?“, fragte Luo Binghe.
In
diesem Moment war Shen Qingqius Herz voller Sympathie für Luo Binghe: „In
Ordnung“, sagte er freundschaftlich, „Worüber willst du reden?“
Als
er sprach, versteifte sich Luo Binghe unerwartet, dann richtete er sich sofort
auf und verließ den Bambusstamm, der Ausdruck auf seinem Gesicht war von
leichtem Unglauben geprägt.
Oh nein, dachte
Shen Qingqiu. War etwas falsch an der Reaktion, die ich mir ausgedacht habe?
Aber
da er schon mit der Schauspielerei angefangen hatte, musste er bis zum Ende
mitspielen. Er konnte absolut nicht auf dem halben Weg aufgeben. Verlegenheit
war eine Kleinigkeit, seine Tarnung auffliegen zu lassen war es nicht. Shen
Qingqiu lächelte: „Hast du diesen Meister nicht gebeten, mit dir zu sprechen?“
Er
benutzte den Ton, den er in der Vergangenheit oft verwendet hatte, wenn er mit
Luo Binghe interagierte. Luo Binghes Mundwinkel zuckte und er ging ohne Eile
auf ihn zu. Shen Qingqiu hielt seinen Gesichtsausdruck ruhig, während er den
Faltfächer in seiner Hand beiläufig sanft öffnete und schloss, wobei er die
kleinen Bewegungen nutzte, um seine Angst zu lindern.
Luo
Binghe schwieg einen Moment: „In der Vergangenheit hat Shizun nicht einmal
einen Blick in meine Richtung geworfen und ist weggegangen, ohne mir Beachtung
zu schenken. — Er vergaß, mit mir zu reden. Vielleicht ist meine
Vorstellungskraft heute etwas zu nachsichtig.“
Shen
Qingqius Herz rührte sich.
Obwohl
er immer noch das Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmte, klangen diese Worte
wirklich ein bisschen erbärmlich. Könnte es sein, dass ‘Shen Qingqiu’ ihn in
Luo Binghes Gedanken immer mit Gleichgültigkeit behandelte, hochmütig und
gefühllos war?
Hatte
Luo Binghe wirklich leichte masochistische Tendenzen ...?
Als
Shen Qingqiu dies ablenkte, begannen seine Hände sich unbewusst zu bewegen und
in Übereinstimmung mit der natürlichen Ordnung tätschelte er Luo Binghes Kopf.
Er hatte diese Aktion unzählige Male ausgeführt. Das Sprichwort besagte, dass
es verboten sei, Männerköpfe und Frauenhüften zu berühren, aber je mehr man
etwas 'verbat', desto mehr verspürte er den Drang, es zu tun.
Shen
Qingqiu liebte es besonders, die Köpfe der Menschen zu tätscheln. Leider konnte
er als Erwachsener dieser Art von groben Impulsen nicht oft nachgeben und
außerdem ließ ihn niemand sie so anfassen, wie er es wollte. Glücklicherweise
hatte der Luo Binghe der Vergangenheit nichts dagegen gehabt, als Shen Qingqiu
seine Hände auf seinen Kopf legte, also hatte Shen Qingqiu ihn jedes Mal
ziellos gestreichelt, bis es schließlich zur Gewohnheit geworden war. Und jetzt
tat er es wieder.
Er
hatte Luo Binghe kaum zwei- oder dreimal gestreichelt, als er überrascht wurde.
Luo Binghe hob seinen eigenen Arm, seine rechte Hand umfasste Shen Qingqius
linkes Handgelenk.
Shen
Qingqius Gesichtsausdruck versteifte sich, als er dachte, Ist das nicht ein
bisschen zu nah?
Unmittelbar
danach war auch sein rechtes Handgelenk fest eingefangen worden. Shen Qingqiu
hob schockiert den Kopf und spürte, wie seine Sicht verschwamm.
Etwas
wie eine Feder streifte sanft seine Wange. Von oben auf seinen Lippen kam ein
fremdes Gefühl, weich und leicht kühl.
Auf
diese Weise öffneten sich seine Augen weit und er begegnete dem Blick, von Luo
Binghes pechschwarzen Irispaaren. Seine Kehle zuckte einmal mühsam.
Er
wollte sprechen, aber er konnte seinen Mund nicht öffnen. Weil ihm jemand auf
die Lippen gebissen hatte.
Luo
Binghe schloss die Augen, seine pechschwarzen Wimpern warfen geschwungene
Schatten auf seine Wangen; es ließ ihn unglaublich liebenswert aussehen, aber
seine Hände und sein Mund waren eine ganz andere Geschichte. Wütend hielt er
Shen Qingqius Lippen zwischen seinen Zähnen und kaute, wobei die Aktion einen
Hauch von kindlichem Groll in sich trug. Seine rechte Hand löste Shen Qingqius
eingefrorenes Glied und bewegte sich stattdessen zur Mitte seiner Taille und
drückte Shen Qingqiu in seine Arme. Obwohl ihre Statur ein wenig ähnlich waren,
konnte er Shen Qingqiu immer noch mit der einfachen einarmigen Umarmung
vollständig umarmen.
Shen
Qingqius Weltanschauung brach wiederholt zusammen und formte sich neu, brach
zusammen und formte sich neu und kreiste im Lichtstrom endlos umher. Was seinen
Zusammenbruch durchbrach, war eine Systembenachrichtigung, begleitet von
feierlicher Hintergrundmusik:
[
Zufriedenheitspunkte +500! Herzlichen Glückwunsch! Herzlichen Glückwunsch!
Herzlichen Glückwunsch! Wichtiges muss dreimal gesagt werden! ]
„Was
zum Teufel?!”, schnappte Shen Qingqiu in seinem Kopf.
Endlich
verstand er warum seine Zufriedenheitspunkte nie gesunken waren, obwohl Luo
Binghe mit keinem einzigen Mädchen geschlafen hatte, und weder Haut noch Haare
von seinem unzähligen Harem von Schönheiten zu sehen waren.
Weil
er Shen Qingqiu benutzte, um das Defizit auszugleichen, ah!
Erklärungen:
Die
Fuchsverführerin (engl. Vixen seductess) ist eine glamouröse, attraktive
Frau mit kämpferischen, verführerischen Fähigkeiten.
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