Zhuzhi-Lang wusste schon lange, dass er ein ekelhaftes Monster war.
Sogar an
der südlichen Grenze, wo es vor Monstern wimmelte, galt er als ein Monster
unter Monstern.
Damals
hieß er noch nicht Zhuzhi-Lang, denn er hatte als Monster keinen Namen
besessen. Im Allgemeinen hatte sich niemand genug gelangweilt, wenn er einem
Ding halb Mensch, halb Schlange, das über den Boden gleitete, begegnete, um
daran zu denken, ihm einen Namen zu geben. Selbst wenn sie gelangweilt genug waren,
zogen es die südlichen Grenzdämonen vor, ihm ein paar Tritte zu verpassen, ihm
in den Schwanz zu stechen oder dieses seltsame kleine Ding mit einem müden
Blick zu studieren, um zu sehen, ob man es überhaupt zu Tode schlagen konnte.
Sein
Tagesablauf war sehr einfach: Gleiten, nach Wasser suchen, gleiten, nach
Nahrung suchen, gleiten, beißen und mit anderen bestienartigen Dämonen kämpfen.
Obwohl es
ihm an einem beeindruckenden Erscheinungsbild mangelte, war er im Kampf nicht
allzu sehr im Nachteil. Im Gegenteil, sein Körper war nicht nur flexibel und
agil, sein widerliches Aussehen störte und lenkte seine Gegner im Kampf oft ab.
Daher war
dieses seltsame kleine Ding, das sowohl hässlich als auch lästig war, an der
südlichen Grenze äußerst unbeliebt.
Als er
ihn zum ersten Mal sah, starrte sogar ein gebildeter Adliger wie Tianlang-Jun
ihn eine Weile von oben bis unten an, bevor er mit aller Aufrichtigkeit sagte:
„Du bist so hässlich.“
Wie zu
erwarten war, sagten die schwarz gepanzerten Generäle, die apathisch hinter ihm
standen, nichts.
„Viel zu
hässlich“, wiederholte Tianlang-Jun. Es war ungewiss, bei wem er sich darüber
beschwerte.
In diesem
Satz lag viel Betonung. Als seltsames kleines Ding wich er zurück.
Andererseits
hatte es irgendwie das Gefühl, dass die Kritik dieses geschätzten Adligen
keinen wahren Ekel enthielt. Er hatte bis dahin schon viele, viele Male
angewiderte Blicke gesehen und sie waren nicht so gewesen.
Tianlang-Jun
ging anmutig in eine halbe Hocke und starrte ihn an: „Erinnerst du dich an
deine Mutter?“
Er
schüttelte den Kopf.
„Oh“,
sagte Tianlang-Jun, „Das ist auch gut. Wenn ich so eine Mutter gehabt hätte,
würde ich es auch vorziehen, mich nicht an sie zu erinnern.“
Es wusste
nicht, was er dazu sagen sollte. Selbst wenn er es gewusst hätte, hätte er es
natürlich nicht sagen können. Alles, was er tun konnte, war ein heiseres
Zischen auszustoßen.
Tianlang-Jun
lächelte: „Allerdings gibt es einige Dinge, die man dir sagen sollte. Deine
Mutter ist tot. Ich bin ihr älterer Bruder. Um ihren letzten Wunsch zu
erfüllen, bin ich zu dir gekommen.“
Dämonen
waren kaltblütig. Wenn es um den Tod eines Blutsverwandten ging, konnte jeder
von ihnen unbekümmert darüber sprechen und es mit einer einzigen Zeile
beschönigen. Als seltsames kleines Ding fühlte er nichts besonderes. Er nickte
nur aus Gewohnheit steif.
Tianlang-Jun
schien das langweilig zu finden: „In Ordnung“, sagte er trocken, „Ich habe mich
um ihren letzten Wunsch gekümmert. Alle von denen sind deine Untergebenen. Von
nun an wird dieses Stück Land dir gehören.“
Die
Untergebenen, auf die er sich bezog, waren diese Hunderte von Generälen in
schwarzen Rüstungen. Obwohl diese Dinge keinen Verstand hatten und nicht denken
konnten, fürchteten sie weder Schmerz noch Tod und sie würden niemals aufhören,
keine Müdigkeit zu spüren. Sie bildeten eine unbesiegbare, alles erobernde
Armee und Tianlang-Jun hatte sie tatsächlich aus einer Laune heraus zu einem
Monster gebracht, das halb Mensch, halb Schlange war.
Tianlang-Jun
stand auf, drehte sich um und klopfte den nicht existierenden Staub von seinem
Saum, wandte sich dann ab und ging.
In einer
unerwarteten Bewegung schwankte das seltsame kleine Ding, das noch nicht
Zhuzhi-Lang war, auf der Stelle, bevor er sich hinter ihm her schlängelte.
Tianlang-Jun
blickte verwirrt zurück. „Was folgst du mir jetzt?“
Der
Schlangenmann wagte es nicht, sich zu bewegen. Bei diesem Anblick machte
Tianlang-Jun einen weiteren Schritt nach vorn und er begann wieder hinter ihm
zu gleiten und sich zu winden.
Tianlang-Jun
blieb auf der Stelle stehen und fragte verwirrt: „Kannst du mich nicht
verstehen?“
Diese
Szene wiederholte sich einmal, zweimal, dann dreimal. Am Ende ignorierte
Tianlang-Jun das Ding einfach und ging mit auf den Rücken gefalteten Händen
weiter. Der Schlangenmann folgte ihm unbeholfen.
Tianlang-Jun
hatte ein besonderes Dasein: Sein Blut war edel und sein Status
außergewöhnlich, also hatte er natürlich keinen Mangel an Feinden. Als der
Schlangenmann ihm folgte, kam unzähliges Gesindel, um ihm Schwierigkeiten zu
bereiten. Obwohl Tianlang-Jun offensichtlich keine Hilfe von außen brauchte,
war der Schlangenmann immer bereit, um mit all seiner Kraft zu kämpfen, und bot
seine mageren Kampffähigkeiten an.
Dies
geschah unzählige Male, bis Tianlang-Jun schließlich die Existenz dieses Dings
nicht mehr ignorieren konnte.
Er warf
dem zerschlagenen und geschundenen Schlangenmenschen zwei Blicke zu und gab
sein Urteil ab: „Immer noch so hässlich.“
Verwundet
wich der Schlangenmann zurück.
Tianlang-Jun
lächelte wieder: „Und auch stur. Das ist nicht sehr sympathisch.“
Selbst
nachdem er ihm die ganze Zeit gefolgt war, war der Schlangenmann kein einziges
Mal vor den vielen Schwierigkeiten und Hindernissen zurückgewichen. Aber als er
mit dieser unfreundlichen Bewertung konfrontiert wurde, war er von dem Impuls
erfüllt, sich umzudrehen und wegzulaufen — nein, zu gleiten.
Er hätte
nie gedacht, dass Tianlang-Jun im nächsten Moment eine bloße Hand auf seinen
Kopf legen und seufzen würde: „Sowohl hässlich als auch stur. Ich kann es nicht
länger ertragen, das mit anzusehen.“
Ein
seltsamer und sanfter Fluss, sowohl warm als auch kalt, strömte durch alle
seine Gliedermaßen und Knochen.
Aber wie
konnte er Gliedmaßen haben?
Der
Schlangenmann erkannte sehr schnell, dass seinem einst verformten Oberkörper
ohne sein Wissen vier vollkommen unversehrte Gliedmaßen entsprossen waren.
Darüber hinaus waren zehn Finger, — Dinge, die er exquisit, aber für
unerreichbar gefunden hatte —, auf seinen neuen Handflächen erschienen.
Es war
der Körper eines Jugendlichen. Der Körper war etwa fünfzehn bis sechzehn Jahre
alt, sein Teint hell und die Figur schlank, gesund und vollständig.
Tianlang-Jun
zog seine Hand weg. Seine pechschwarze Iris reflektierte eine weiße Silhouette,
und während er das Kinn des Jugendlichen hielt, sagte er: „Ich denke, das sieht
ein bisschen besser aus. Irgendwelche Gedanken?“
Der
andere öffnete den Mund und wartete darauf zu sprechen. Er hatte es endlich
geschafft, die Gestalt eines Mannes anzunehmen, doch so sehr er es auch
versuchte, sein Mund und seine Zunge gehorchten seinen Befehlen nicht. In dem
Moment, als er seinen Mund öffnete und ein leicht schwerfälliges Geräusch
entwich, floss eine warme Flüssigkeit aus seinen Augen.
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Obwohl
Zhuzhi-Lang fest davon überzeugt war, dass sein Herr nichts falsch machen
konnte, dachte er insgeheim, dass das Gehirn seines Herrn nicht allzu scharf
war.
Selbst
nachdem Zhuzhi-Lang für eine lange Zeit die stillschweigende Erlaubnis erhalten
hatte, an Tianlang-Juns Seite zu sprechen, hatte er keinen Namen.
Tianlang-Jun
gab den Leuten um ihn herum nicht oft Befehle, also nannte er die Jugendlichen
nicht beim Namen. Daher verbrachten sie viele Monate in einem Durcheinander.
Eines
Tages wollte Tianlang-Jun eine bestimmte Gedichtsammlung aus dem Menschenreich
finden. Er warf Kisten und Schränke um, konnte sie aber nicht finden und erst,
als er gezwungen war, jemanden um Hilfe zu rufen, erinnerte er sich plötzlich
daran, dass er einen Neffen hatte, dessen Anwesenheit ungefähr der eines Flecks
leerer Luft entsprach und der saß gerade in der Ecke seines Arbeitszimmers.
Aber
nachdem er: „Hey“, gerufen hatte, wusste er nicht, was er als Nächstes sagen
sollte. Tianlang-Jun runzelte die Stirn und dachte eine Weile nach, dann sagte
sie: „Habe ich dich nie nach deinem Namen gefragt?“
„Mein
Herr, dieser Untergebene hat keinen Namen“, antwortete sein Neffe ehrlich.
„Wie
kannst du keinen Namen haben?“, fragte Tianlang-Jun verwirrt, „Das ist so
seltsam. Wie soll ich dich dann nennen?“
„Wie auch
immer mein Herr mich nennen möchte“, während er die Gedichtsammlung herauszog,
wo Tianlang-Jun sie zuletzt hingelegt hatte, nachdem er die Lektüre beendet
hatte. Dann präsentierte er sie seinem Herrn mit beiden Händen.
Tianlang-Jun
war sehr zufrieden. Als er die Sammlung entgegennahm, sagte er: „Es ist kein
großes Problem, keinen Namen zu haben. Wir können dir einfach einen geben.“
Nachdem
er mit gesenktem Kopf wahllos ein paar Seiten durchgeblättert hatte, wählte er
aus einer Laune heraus einen Satz: „Lass uns dich Zhuzhi-Jun nennen.“
Mit
seinen scharfen Augen hatte er den Text ein oder zwei Mal überflogen.
Bei
zarten, grünen Weiden über ruhigen Flusswassern /
höre ich
meinem Geliebten zu, wie er sein Lied am Ufer singt. /
Die Sonne
geht im Osten auf, während Regen den Westen trübt / Hier vermischen sich klarer
Himmel und Dunkelheit in Eintracht.
Bambuszweiglied, Zhuzhi-Ci.
Sein
Neffe schüttelte den Kopf.
„Magst du
ihn nicht?“, fragte Tianlang-Jun. Er reichte ihm das Buch: „So wählerisch. Dann
such dir selbst einen aus.“
Sein
Neffe wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte: „Mein Herr, nur Adlige
können einen solchen Titel führen.“
„So
penibel, selbst in deinem zarten Alter“, sagte Tianlang-Jun, „Gut, dann nennen
wir dich Zhuzhi-Lang.“
Alles,
was Tianlang-Jun tat, war leichtfertig. Er hatte diesem Neffen leichtfertig ein
Leben geschenkt und er hatte ihm leichtfertig einen Namen gegeben. Und in
diesem Moment und an diesem Ort wurde 'Zhuzhi-Lang' dank ihm leichtfertig
geboren.
Aber,
egal, wie sorglos, wie kindisch sein Verhalten war, er war immer noch
Tianlang-Jun, die Person, für die Zhuzhi-Lang sowohl Feuer als auch Flut
trotzen würde, für die er zehntausend Leben opfern würde.
Man
konnte sich kaum vorstellen, dass Tianlang-Jun auch darüber nachdachte, ob sein
Neffe zu viele Jahre als Schlange verbracht hatte und deshalb ein bisschen dumm
geworden war.
Besagter
Neffe weigerte sich, ihn 'Onkel' zu nennen, und bestand darauf, ihn 'mein Herr'
zu nennen. Er weigerte sich, ein sorgloser Anführer an der südlichen Grenze zu
sein und folgte stattdessen Tianlang-Jun, um Laufbursche zu werden. Er lehnte
sogar einen guten Namen ab und bestand darauf, sich selbst herabzustufen.
Er war
wirklich ein bisschen dumm. Aber ein Verstand, der nicht scharf war, war ein
lebenslanges Problem, also konnte man ihm nicht helfen.
Lass ihn
machen, was er will.
Tianlang-Jun
liebte wirklich alles, was mit Menschen zu tun hatte.
Wahrscheinlich
hatte er das Gefühl, dass die Dämonen ein kalter und langweiliger Haufen seien.
Doch wenn es um die Menschen ging, hegte er eine seltsame Leidenschaft für
und ein schönes geistiges Bild von dieser fremden Rasse. Manchmal war es
schon fast übertrieben.
Jedes
Mal, wenn er irgendwohin ging, war sein häufigstes Ziel das Grenzland. Er
passierte die Grenzmarkierungen und bei seinen kurzen Aufenthalten trank er
etwas Wein, während er sich Geschichten anhörte. Aber bei seinen langen
Aufenthalten war es nicht ausgeschlossen, dass er ein ganzes Jahr — oder sogar
länger — durch das Menschenreich reiste.
Tianlang-Jun
war wahrscheinlich nicht der Typ, der gerne verfolgt wurde. Er entließ seine
schwarz gepanzerten Generäle oft zu Hunderten oder Tausenden. Aber was
Zhuzhi-Lang betraf, so redete dieser erstens nicht zu viel und zweitens stand
er nicht im Weg.
Er folgte
Tianlang-Jun nur schweigend, also wäre es nicht viel anders gewesen, wenn es
ihn überhaupt nicht gegeben hätte. Manchmal half er aus, indem er die Rechnung
bezahlte oder Besorgungen machte und er war sowohl praktisch als auch
rücksichtsvoll, sodass er seinen Onkel nicht besonders ärgerte.
Selbst
als er sich mit diesem Fräulein Su traf, machte es keinem von beiden etwas aus,
dass Zhuzhi-Lang mitkam. Als wären sie einer Meinung, gaben sie beide vor,
Zhuzhi-Lang sei eine echte Schlange, die weder die normale Konversation noch
den intimeren Austausch verstehen könnte. Sie konzentrierten sich aufeinander
und taten so, als wäre er nicht da.
Nur
einmal versuchte Tianlang-Jun, Zhuzhi-Lang zu vertreiben, und sagte ihm sogar:
„Verschwinde.“
Als
jemand, der immer nach Anmut und Raffinesse gestrebt hatte, war dies eine der
derbsten Ausdrücke gewesen, die er je benutzt hatte.
Erklärungen:
Bambuszweiglied, Zhuzhi-Ci ist ein
Gedicht von Liu Yi, dass die widersprüchlichen Gefühle eines verliebten
Mädchens ausdrückt. Das Original bedient sich eines schwer zu übersetzenden
Wortspiels, da ‘klar’ und ‘Liebe’ im chinesischen Homonyme sind.
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