Kapitel 93 ~ Extra: Yue Qingyuan und Shen Qingqiu


                                                     —Teil 1 —

 

Ein Klappern ertönte, als Shen Jiu die kleine schwarze Schale mit einem Tritt in die Luft jagte.

Er verschränkte die Arme und sagte nichts. Der Jugendliche, der entweder Sishi oder Shiwu hieß, wich zurück, während die Jungen um ihn herum nicht anders konnten, als ihm mit ihren Augen Mut zuzusprechen. Also stählte er sich und machte ein tapferes Gesicht, um zu sagen: „Shen Jiu, glaube nicht, dass du hier den großen Macker markieren musst. Dir gehört diese Straße nicht. Was gibt dir das Recht, uns zu sagen, dass wir nicht bleiben können?!“

Diese Hauptstraße war breit und eben und viele Menschen kamen und gingen darauf. Wenn man hier betteln möchte, war dies die beste Lage und eine erstklassige noch dazu. Einige der Passanten sahen dieser Gruppe von Kindern beim Kampf zu, aber noch mehr eilten davon.

Und dieses neue Balg hatte die Frechheit, ihn herauszufordern. Shen Jiu blickte nach unten und in die Runde und bereitete sich darauf vor, einen Ziegelstein zu finden, mit dem er ihm eine Lektion erteilen könnte, als zufällig ein großer Jugendlicher herüberkam. Er sah Shen Jiu mit gesenkten Kopf seine Ärmel hochkrempeln und ging hastig hin, um ihn aufzuhalten.

„Xiao-Jiu, lass uns doch woanders hingehen.“

„Nein“, sagte Shen Jiu, „Ich bleibe hier.“

Dieser erste Jugendliche nutzte die Gelegenheit, um zu petzen: „Qi-Ge, er tyrannisiert mich.“

„Das war kein tyrannisieren, Shiwu“, sagte Yue Qi, „Xiao-Jiu hat nur Spaß gemacht.“

„Wer macht nur Spaß?“, widersprach ihn Shen Jiu, „Ich sagte ihm, er soll verschwinden. Das ist mein Territorium. Ich werde jeden töten, der versucht, es zu stehlen.“

Während Yue Qi vor ihm stand, wurde Shiwu mutig. Er beugte sich vor und schrie: „Jedes Mal, wenn wir an einen neuen Ort gehen, schnappst du dir immer den besten Platz! Alle haben dich schon seit Ewigkeiten satt! Glaubst du, dass du der Mittelpunkt der Welt bist? Dass jeder Angst vor dir hat?“

„Shiwu“, schimpfte Yue Qi.

Im Kampf zuvor hatte Shen Jiu Shiwu gegen das Schienbein getreten gehabt: „Wenn du einen Kampf willst, gebe ich dir einen! Nur Verlierer würden ihren Platz für ihre Inkompetenz hergeben! Du Bastard! — Wer ist hier dein Qi-Ge? Ich fordere dich heraus, das noch einmal zu sagen!“

„Du bist der Bastard! Ich wette, du wirst bald verkauft und als Zuhälter enden!“

Yue Qi wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte: „Wo hast du diese Art der unsinnigen Sprache gelernt!“, er schleppte Shen Jiu zum Straßenrand, während er weiter auf ihn einredete, „In Ordnung, du bist hier der Kompetenteste. Auch wenn sie nicht deinen Platz aussuchen würden, wärst du dennoch der Beste. Also lass uns einfach die Straße wechseln.“

Shen Jiu trat ihm auf den Fuß: „Lass mich los! Als ob ich Angst hätte! Komm schon, kämpfe gegen mich! Willst du dich gegen mich mit ihnen verbünden? Na los, mach doch!”

Natürlich hatte Yue Qi keine Angst. Wenn er Shen Jiu wirklich mit den anderen Kindern streiten ließe, würde er schmutzig kämpfen. Er würde ihnen in die Augen stechen und sie in den Bauch, in den Schritt oder gegen das Schienbein treten. Er war schrecklich bösartig und die andere Partei würde am Ende leiden und vor Angst heulen. Yue Qi zwang sich zu einem Lächeln: „Bist du jetzt fertig damit, auf meine Füße zu treten? Wenn ja, hör auf damit. Qi-Ge wird dich an einen Ort bringen, an dem es Spaß macht.“

„Was ist das für ein beschissener 'Spaß'?“, fragte Shen Jiu wütend, „Am meisten Spaß werde ich haben, wenn sie alle tot sind.“

Yue Qi sah ihn hilflos an und schüttelte den Kopf.

Bei einem Qi für 'sieben' und einem Jiu für 'neun' gab es natürlich auch eine 'eins' bis 'sechs'. Aber von der vorherigen Gruppe von Kindern waren alle 'sechs' und älter entweder verkauft worden oder schon lange tot. Von den verbliebenen Kindern standen sich diese beiden am nächsten.

Als Shen Jiu etwas jünger gewesen war, war er klein und dünn gewesen. Yue Qi hatte seinen Kopf gehalten, während sie auf dem Boden saßen, mit einen 'Blutbrief' vor sich. Darauf stand die Geschichte, wie alle ihre Geschwister und Eltern gestorben waren, wie sie auf der Suche nach anderen Verwandten auf Schwierigkeiten gestoßen waren und wie sie jetzt mittellos und allein waren. Herumtreiber, ohne jemand, auf den sie sich verlassen konnten.

Gemäß den ihnen erteilten Zustand hätte Yue Qi jammern und weinen sollen, aber egal, was passierte, er schaffte es nie, zu weinen. Daher war diese Aufgabe stattdessen Shen Jiu zugefallen, obwohl er eine Krankheit vortäuschte, die ihn angeblich zu schwach zum Weinen machte. Aber er war klein und sein Gesicht war nicht zu unansehnlich, um es zu betrachten, und wenn er schluchzte und weinte, fanden ihn die Passanten erbärmlich und öffneten großzügig ihre Brieftaschen. Es wäre keine Übertreibung gewesen, ihn einen Geldbaum zu nennen.

Schließlich, als Yue Qi allmählich älter wurde, war er immer weniger zu solchen Dingen bereit und so war er auf Patrouille gegangen und hatte Ausschau gehalten. Shen Jiu wollte mit ihm gehen, aber es war ihm verboten worden. Deshalb terrorisierte er weiterhin die Straßen, eine Geißel für jeden, der ihm in den Weg kam.

Als die beiden gerade die wohlhabendste Straße der Stadt verlassen wollten, ertönte plötzlich das Geräusch donnernder Hufe.

Standbesitzer auf beiden Seiten der Straße erbleichten panisch. Diejenigen mit Karren drängten sie weg, während andere rannten, als käme ihr Todfeind. Yue Qi verstand den Grund dafür nicht, aber Shen Jiu hatte ihn gerade an den Straßenrand geschleift, als ein riesiges Pferd auf die Straße bog.

Die Trense des Pferdes war aus reinem Gold geschmiedet worden: schwer und solide, glänzend und hell. Hochmütig ritt auf der Bestie ein temperamentvoller und jugendlicher junger Meister. Sein Gesicht war hell und markant, seine Brauen und Augen schlank. Wo das Licht auf seine dunkle Iris traf, leuchteten zwei glänzende Nadelspitzen, die Wirkung war blendend und durchdringend. Sein violetter Saum flatterte an beiden Seiten seines Sattels, seine schmalen Ärmel lagen eng um seine Handgelenke und seine blasse Hand hielt eine pechschwarze Peitsche fest.

Geblendet von dem Gold, konnte Shen Jiu nicht anders, als sich nach vorne zu beugen, aber Yue Qi zerrte ihn schnell weg und die beiden zogen sich zurück.

Sie waren noch nicht lange gelaufen, als sie einen Schrei und das Geräusch von Menschen hörten, die auseinanderliefen. Eine Gruppe kleiner Jungen stürmte auf sie zu und stürzte sich einer nach dem anderen auf Yue Qi und beschmierten ihn praktisch mit ihrem verängstigten Rotz und ihren Tränen. Shen Jiu geriet in Wut, aber Yue Qi sagte hastig: „Was ist los? Warum weint ihr?“

„Shiwu ist weg!“, jammerte jemand.

Yue Qi blieb stehen: „Er ist euch nicht gefolgt?“

„Da war zu viel los“, schimpfte das Kind, „Ich konnte nicht klar sehen ...“

„Keine Panik. Mach langsam und erzähl mir alles.“

Wie sich herausstellte, hatte dieser junge Meister auf dem Pferderücken, während er seine Wache am Straßeneingang vorbeigeführt hatte, zur Seite geblickt und Shiwu und die anderen Kinder an der Straßenecke entdeckt.

„Woher kommen sie?“, hatte er die Wachen gefragt und seine Nase gerümpft.

„Das sind Bettlerkinder, junger Meister Qiu“, hatte ihm eine Wache geantwortet, „Wir wissen nicht, woher sie kommen.“

„Was macht ihr eigentlich, dass ihr hier so schmutzige Dinger herumlungern lasst?!“

Die Wachen brauchten keine weiteren Anweisungen ihres Herren. Sie waren dreist herübergestapft, um die Kinder zu verjagen. Aber Shiwu war nicht bereit gewesen, so einfach zu gehen, nicht, nachdem er es endlich geschafft hatte, Shen Jiu sein Territorium wegzuschnappen. Er schrie wütend: „Was gibt dir das Recht, uns zu verjagen

Er wollte mit 'Dir gehört diese Straße nicht' enden, aber dann winkte dieser jugendliche junge Meister mit der Hand. Ein dunkler Schatten senkte sich herab und ritzte Shiwu ein blutiges Peitschenmal ins Gesicht.

Die Wunde war kaum eine Haaresbreite von seinem Auge entfernt. Shiwu musste den Schmerz noch registrieren. Er war vor Angst erstarrt.

Dieser jugendliche junge Meister lächelte strahlend: „Welches Recht? Ich brauche kein Recht! Es ist nur so, dass meine Familie diese Straße gebaut hat.”

Ob vor Schmerz oder Schock, Shiwu war daraufhin mit einem dumpfen Schlag zu Boden gegangen.

Shen Jiu hatte sich diese Geschichte noch nicht zu Ende angehört, als er in lautes Gelächter ausbrach, aber bald konnte er nicht mehr lachen. Yue Qi führte im Kopf eine Zählung durch und entdeckte, dass auch einige der anderen Kinder vermisst wurden. Er blickte zurück und sagte: „Du solltest gehen. Ich komme bald zurück.“

Shen Jiu war hingegen voller Schadenfreude: „Lass es — halte dich aus der Sache raus. Dieser Qiu-Typ hat nicht wirklich den Mut, sie zu töten.“

Yue Qi schüttelte allerdings den Kopf: „Du gehst zurück. Ich bin der Älteste. Ich kann sie nicht alleine lassen.“

„Er wird nicht sterben“, beharrte Shen Jiu, „Er wird höchstens verprügelt. Das wird ihm eine Lehre sein.“

„Geh zurück“, sagte Yue Qi mit härterem Ton.

Unfähig, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten, spuckte Shen Jiu: „Du mischst dich zu viel ein!“

Nachdem er dies geschrien hatte, rannte er hinter ihm her.

 

 

—Teil 2 —

 

 

Qiu Jianluo fand, dass Shen Jiu unglaublich viel Spaß machte.

Es war, als würde man einen Hund schlagen. Wenn man einen Hund schlug, würde er den Kopf einziehen, zusammenzucken und sich ducken, während er wimmerte. Obwohl diese Reaktion keine Bedrohung darstellte, war sie auch nicht sehr interessant. Wenn man jedoch auf diesen Hund trat, knurrte er laut in seiner Kehle, während er dich ängstlich anstarrte. Aber er war zu ängstlich, um zurückzuschlagen, und das war interessant.

Er gab Shen Jiu eine Ohrfeige. Inzwischen hatte sich Shen Jiu zweifellos hundertachtzehn Mal im Geiste geschworen, das Grab der Familie Qiu zu ficken, aber er konnte diese Schläge nur gehorsam hinnehmen. Er entblößte sogar sein Gesicht, damit Qiu Jianluo ihn schlagen konnte.

Was für ein unglaublicher Spaß.

Als Qiu Jianluo das dachte, konnte er nicht anders, als laut zu lachen.

Shen Jiu hatte gerade eine ordentliche Tracht Prügel abbekommen und kauerte an die Seite. Qiu Jianluo wälzte sich praktisch vor Lachen auf den Boden, während er ihn ansah.

Nachdem er Shen Jiu gekauft hatte, hatte er ihn für ein paar Tage eingesperrt und ihn mit Schmutz und Dreck bedeckt zurückgelassen. Als Qiu Jianluo ihn wieder ansah, war er völlig angewidert gewesen, also hatte er ihn hochgehoben, ihn wie ein Kätzchen baumeln lassen, während er ihn zu mehreren schwergewichtigen Wachen gebracht hatte und ihnen dann gesagt, sie sollten ihn 'sauber schrubben'.

Danach wurde Shen Jiu gründlich geschrubbt und gereinigt, bis zu dem Punkt, an dem sie fast eine Schicht seiner Haut abgescheuert hatten. Dann hatten sie ihn zurück ins Arbeitszimmer geschleppt. Jetzt, wo jahrelanger Schmutz und Staub von ihm gekocht worden waren und weil sie ihn beim Waschen seines Gesichts und seiner Arme zu fest gehalten hatten, glühte seine blasse Haut mit einer sanften Röte, während sein nasses Haar immer noch vom Bad dampfte. An der Seite stehend, ordentlich gekleidet, machte er wirklich eine ziemlich erbärmliche Figur.

Qiu Jianluo musterte ihn lange mit schief gelegtem Kopf. Ein seltsames Gefühl stieg in seinem Herzen auf, zusammen mit einem Hauch von Zuneigung. Er hielt sogar den Tritt zurück, den er ihm eigentlich geben wollte.

„Kannst du lesen?“, fragte er.

„Ich kenne ein paar Zeichen“, antwortete Shen Jiu leise.

Qiu Jianluo breitete ein schneeweißes Blatt Papier aus und klopfte dann auf den Schreibtisch: „Versuche was zu schreiben.“

Shen Jiu nahm widerstrebend einen Wolfshaarpinsel und hielt ihn mit verblüffend korrektem Griff. Er tauchte ihn in etwas Tinte ein und überlegte einen Moment, dann schrieb er zuerst eine 'Sieben': Nach einer weiteren Pause schrieb er eine 'Neun'.

Obwohl die Richtung seiner Striche völlig falsch war, waren die Ergebnisse weder schief noch schräg. Tatsächlich waren sie einheitlich und makellos.

„Wo hast du das gelernt?“, fragte Qiu Jianluo.

„Ich habe jemandem beim Schreiben zugesehen.“

Dieser Bengel wusste verdammt noch mal absolut gar nichts — Er verstand es nur, wie man eine Vorlage kopierte. Dennoch war es ihm gelungen, Qiu Jianluo zu täuschen, was ihn unglaublich überraschte. So ahmte er, zunehmend liebenswürdig, den Ton des alten Hauslehrers seiner Familie nach und lobte den Jungen. „Du hast ein gewisses Talent. Wenn du dich beim Lernen anstrengst, kannst du es vielleicht auch schaffen.“

Qiu Jianluo war sechzehn alt, vier Jahre älter als Shen Jiu und er trug die Last aller Erwartungen seiner Eltern. In einem Haus aus goldenen Backsteinen aufgewachsen, dachte er, dass jeder unter ihm sei. Die einzige Person, die er verehrte, die sein Augapfel war, war seine kleine Schwester Haitang. Sie war der Liebling der gesamten Qiu-Familie. Wann immer Qiu Jianluo in der Nähe von Haitang war, spielte er immer den guten, älteren Bruder. In der Vergangenheit hatte er sich gewünscht, dass seine Schwester niemals heiraten würde und jetzt, da Shen Jiu hier war, begann er, einen alternativen Plan auszuhecken.

Qiu Haitang liebte Shen Jiu sehr. Wenn Shen Jiu richtig erzogen wäre, könnte Qiu Jianluo ihn billig zu einem Schwager machen. Das schien überhaupt nicht schlimm zu sein. Dann würde seine Schwester an seiner Seite bleiben und er könnte Shen Jiu weiterhin zu seinem eigenen Vergnügen benutzen. Solange der Junge brav und gehorsam blieb, würde es keine Probleme geben.

Wenn Haitang Shen Jiu heiraten würde, müsste sie nicht gehen und sie würde sich immer noch auf ihre Familie verlassen, was Essen, Kleidung und Geld betraf. Es wäre so, als hätte sie gar nicht erst verheiratet. Der Plan hatte keine Fehler, abgesehen davon, dass es ein bisschen so war, als würde man eine Kröte etwas vom üppigem Schwanenfleisch kosten lassen.

Nachdem Qiu Jianluo seine Pläne perfekt berechnet hatte, gab er Shen Jiu oft Warnungen wie:

„Wenn du es wagst, Haitang unglücklich zu machen, werde ich dafür sorgen, dass dein trauriges Leben beendet wird."

„Ohne Haitang hätte ich dich längst zu Tode geprügelt.“

„Menschen müssen Freundlichkeit verstehen und zurückzahlen. Unsere Familie gab dir die Chance, Mensch zu spielen, also selbst wenn das bedeutet, dies mit deinem Leben an uns zurückzuzahlen, so solltest du es tun.“

Je älter Shen Jiu wurde, desto mehr verstand er, dass diese Person nicht einmal den geringsten Ungehorsam tolerieren würde. Jede seiner Bitten war zu erfüllen — auch wenn ihn das, was er hörte, mit unbeschreiblichem Ekel erfüllte — er wusste, dass er es nicht ausdrücken durfte. Nur so konnte er einer brutalen Prügelstrafe entgehen.

Aber in seinem Herzen dachte er immer noch an das erste Mal zurück, als er Qiu Jianluo getroffen hatte. Dieser Tag war das einzige Mal gewesen, dass er den jungen Meister vor Wut in den Wahnsinn getrieben hatte.

Yue Qi hatte darauf bestanden, Shiwu und die anderen Kinder zurückzuholen. Doch beinahe wäre er mit den Hufen von Qiu Jianluos Pferd zusammengestoßen. In diesem Moment hatte Shen Jiu die Warnungen von Yue Qi komplett vergessen — dass es am besten wäre, ihre rudimentären unsterblichen Künste anderen nicht zu offenbaren. Er hatte Metall in eine scharfe Klinge verwandelt und sie dem Pferd direkt bis auf die Knochen gestochen.

Qiu Jianluo und sein Pferd waren auf der Straße herumgewirbelt, und das Tier hatte sich aufgebäumt und wild gebockt. Shen Jiu hatte ihn im Stillen verflucht, dass er mit aller Kraft herunterfallen möge und sich das Genick dabei brechen solle, aber wie es der Zufall so wollte, hatte Qiu Jianluo hervorragende Reitkünste. Selbst mit den Vorderbeinen des Pferdes in der Luft war er fest im Sattel geblieben.

„Wer war das?!“, hatte er gebrüllt, „Wer war es?!“

Natürlich hatte Shen Jiu es getan.

Aber selbst danach, als Qiu Jianluo zu ihnen kam und sie befragt hatte, ... wenn Shiwu nicht die Initiative ergriffen hätte, ihn zu verpetzen, hätte niemand jemals etwas von Shen Jius Einmischung erfahren.

Wenn sie Shiwu nicht gerettet hätten, wäre er unter den Hufen der Familie Qiu zu Tode getrampelt worden. Er hatte sein trauriges Leben geführt, nur um sie zu verraten. Shiwu hätte zu Tode getrampelt werden sollen, zu Hackfleisch, auf das Tausende spucken könnten. Qi-Ge hätte niemals zurückkehren sollen, um ihn zu retten. Selbst wenn Shiwu gestorben wäre, wäre es ihm zurecht passiert.

Als Shen Jiu Tag für Tag Qualen durchlitt, dachte er immer wieder an diese süßen, aber vergeblichen Gedanken und schöpfte Kraft und Trost aus ihnen.

Und er wartete darauf, dass ein gewisser Jemand sein Versprechen einlöste, ihn aus diesem Meer des Leidens zu retten.

 

 

—Teil 3 —

 

 

Shen Jiu dachte viel darüber nach, warum Yue Qi nie zurückgekehrt war, um nach ihm zu suchen.

Vielleicht war er auf seiner Flucht entdeckt worden und die Menschenhändler hatten ihm die Beine gebrochen. Vielleicht hatte er auf seiner Reise auch kein Essen gefunden und war verhungert, weil er nicht betteln wollte. Vielleicht war sein Potenzial zu gering gewesen, also war keiner der unsterblichen Berge bereit gewesen, ihn aufzunehmen. Shen Jiu stellte sich sogar vor, bis ans Ende der Welt zu gehen und nach Yue Qis Überresten zu suchen, und wie er ihm, nachdem er sie gefunden hatte, mit seinen eigenen zwei Händen ein Grab schaufelte. Vielleicht würde er sogar sein Bestes tun, um eine Träne zu vergießen.

Oder, wenn Yue Qi das Glück hatte, noch am Leben zu sein, stellte sich Shen Jiu vor, wie er selbst alles wegwerfen würde, um Yue Qi aus der Hölle zu retten, in die er geraten war obwohl Shen Jiu selbst nur von der Höhle des Wolfs in die Höhle eines Tigers gegangen war, so war er selbst in einer schlimmen Notlage.

Aber egal, er hätte sich nie eine solche Wiedervereinigung vorstellen können.

Er hob und senkte sein Schwert wieder und wieder und ließ Blut in einer entsetzlichen Szene überall hinspritzen. Blutflecken spritzten ihm in die Augen, aber er blinzelte nur ein paar Mal und zeigte sich ansonsten ausdruckslos. Seine Bewegungen hätte man als flink und gefasst bezeichnen können.

Nachdem er ihn vom Qiu-Anwesen geholt hatte, hatte Wu Yanzi diesem 'Schüler' am meisten Dinge wie Mord und Brandstiftung, Heimlichkeit und Raub beigebracht und wie man aus dem Chaos Profit schlug. Zum Beispiel, was er gerade jetzt tat: Die Allianz der unsterblichen Konferenz zu nutzen, um die Leichen einiger dummer, unreifer und reicher Kinder zu plündern, die sich für Eliten gehalten hatten. Ihnen ihre Aufbewahrungsbeutel zu entziehen und dann ihre Leichen zu entsorgen.

Als Yue Qi ihn entdeckte, muss er von Shen Jius gespenstischem Aussehen fassungslos erstarrt gewesen sein, denn er registrierte nicht einmal die Körper der Schüler auf dem Boden und machte stattdessen zwei Schritte auf ihn zu.

Shen Jiu zitterte und blickte abrupt auf.

In dem Moment, in dem Yue Qi einen klaren Blick auf sein Gesicht werfen konnte, erbleichten beide zu einem blutleeren Weiß.

„Bleib weg!“, schrie Shen Jiu.

Unerwarteterweise war seine erste Reaktion, sich zu Boden zu werfen, einem der Körper ein Notfeuerwerk zu entreißen und es in den Himmel zu schießen.

Yue Qi war erschüttert, aber immer noch verwirrt. Er ging auf Shen Jiu zu, streckte seine Hand aus und öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen—

An diesem Punkt ertönte ein verstörendes Glucksen aus dem dichten Wald neben ihnen.

„Mein lieber Schüler, wer ist das? Er hat dir so furchtbare Angst gemacht. Du weißt also, was es heißt, Angst zu haben.“

Shen Jiu löste seinen Griff und das Feuerwerksgehäuse fiel lautlos zu Boden. Er drehte sich hastig um: „Shifu, ich habe keine Angst vor ihm. Ich habe gerade einen Fehler gemacht. Ich habe nicht richtig aufgepasst, was diesem Haufen hier am Boden die Chance gegeben hat, ein Feuerwerk abzufeuern. Wovor ich Angst habe, ist, dass bald jemand hier auftaucht!“

Yue Qi hatte erkannt, dass diese Situation unglaublich gefährlich war. Ohne mit der Wimper zu zucken, begann er spirituelle Energie zu sammeln.

Wu Yanzi schnaubte: „Als ich das Feuerwerk sah, dachte ich mir, dass dies der Fall ist. Du warst schon immer schnell und flink. Was ist dieses Mal passiert?! Wenn sie Feuerwerk zünden wollten, warum hast du ihnen dann nicht die Hände abgehackt?“

Shen Jiu senkte den Kopf. „Es ist alles die Schuld dieses Schülers. Wir sollten sofort gehen. Wenn diese alten Männer hierherkommen, können wir nicht gehen, selbst wenn wir es versuchen.“

Aber Yue Qi bewegte sich, um sie abzuwehren, indem er das Schwert in seiner Hand hob. Er warf Shen Jiu mit leicht geröteten Augen einen Blick zu, seine Stimme war heiser, aber ungewöhnlich entschlossen: „Ich kann dich nicht gehen lassen.“

Wütend starrte Shen Jiu ihn an.

Wu Yanzi musterte ihn von oben bis unten, dann erhob er sein Schwert noch einmal. Er spottete: „Vom Cang-Qiong-Berg — und dann noch sogar vom Qiong-Ding-Gipfel. Das Xuan Su-Schwert, Yue Qingyuan?“

Daraufhin erschrak Shen Jiu und intensivierte sein Drängen: „Shifu, da er vom Cang-Qiong-Berg stammt, werden wir ihn nicht schnell töten können. Es wird besser für uns sein, zu fliehen, und zwar schnell. Sobald alle da sind, sind wir erledigt!“

Wu Yanzi grinste höhnisch: „Der Cang-Qiong-Berg mag großes Prestige besitzen, aber ich muss mich nicht so weit beugen, um einen jungen Kultivierer zu fürchten. Außerdem kam er selbst, um den Tod zu suchen!“

Während er und Yue Qi wirklich aneinandergerieten, erkannte Shen Jiu, dass seine Sorge um Yue Qi und die verschiedenen ungeschickten Tricks, die er deswegen angewendet hatte, ziemlich lächerlich waren. Er hatte schreckliche Angst vor seinem 'Meister', Wu Yanzi. Er hatte sogar Todesangst.

Aber als Yue Qi — oder Yue Qingyuan — ihm im Kampf gegenüberstand, erwies er sich als Wu Yanzi überlegen, auch ohne  sein Schwert zu ziehen.

Trotzdem konnte sich Shen Jiu nicht vollständig entspannen. Er war nur allzu vertraut mit Yu Wanzis Kampfstil und seinen letzten Trumpfkarten.

Wu Yanzi hatte einen Satz verfluchter Schwarzlicht-Talismane. Unzählige Male hatte Shen Jiu miterlebt, wie Wu Yanzi einen dieser Papiertalismane wegwarf, wenn er im Nachteil war und einen Gegner tötete, indem er ihn unvorbereitet erwischte. Mehr als einem berühmten Kultivierer war es nicht gelungen, diesen finsteren Manövern zu entkommen. Darüber hinaus war es leicht zu erkennen, dass Yue Qi in seiner jetzigen Verfassung wenig Erfahrung im Kampf gegen Feinde hatte: Seine Bewegungen waren wie aus dem Buch und er griff abwechselnd methodisch an und parierte.

Deshalb stach Shen Jiu gerade als Wu Yanzi einen Talisman werfen wollte, ein Schwert in seinen Rücken.

Yue Qi griff nach seiner Hand und sprintete hektisch mit ihm davon.

Nach diesem erbitterten Kampf standen beide Jugendlichen unter Schock. Sie lehnten schwer keuchend an einem Baum.

Als er sich beruhigt hatte, warf Shen Jiu Yue Qi schließlich einen langen, gründlichen Blick zu. Seine Kultivierung war außergewöhnlich und seine Haltung ausgeglichen und fest. Auch seine Kleidung war nicht gewöhnlich und seine Haltung war genau wie die der großen Meister selbst. Er hätte nicht weiter von den höllischen Engpässen entfernt sein können, die Shen Jiu sich vorgestellt hatte.

Das war nicht Yue Qi, sondern Yue Qingyuan.

Yue Qingyuan sah aufgeregt aus, sein Gesicht war gerötet, als er sich darauf vorbereitete zu sprechen. Aber Shen Jiu eröffnete zuerst das Feuer.

„Du bist dem Cang-Qiong-Berg beigetreten?“

Shen Jiu konnte nicht sagen, was Yue Qingyuan dachte, aber die Aufregung auf seinem Gesicht verblasste ein wenig. Tatsächlich wurde seine Gesichtsfarbe bleich.

„Du bist zum Hauptschüler des Qiong-Ding-Gipfel geworden? Nicht schlecht“, sagte Shen Jiu, „Warum bist du nicht zurückgekommen, um nach mir zu suchen?“

„Ich ...“

Shen Jiu wartete einige Zeit, aber das nächste Wort kam nicht. Also sagte er: „Warum sagst du nichts? Ich warte immer noch. Ich habe schließlich schon so viele Jahre gewartet. Etwas länger zu warten macht nun auch nichts mehr aus.“

Aber wie konnte Yue Qingyuan etwas sagen?

Shen Jiu verschränkte die Arme.

Schließlich wurde sein Warten mit Yue Qingyuans leisen Worten belohnt: „Tut mir leid. Es war Qi-Ge, der dich im Stich gelassen hat.“

Eiskalte Wut kroch in Shen Jiu hoch und verschlang sein ganzes Herz. Sein Mund und seine Nase schienen sich mit dem Geschmack seines rasenden Blutes zu füllen.

Zuerst war er eine Ratte gewesen, die gezwungen war, ihre Wut herunterzuschlucken, die zusammenzuckte, während sie auf weitere Schläge wartete. Dann wurde er zu einer Rinnsteinratte, die hin und her huschte, während alle hinter ihr herjagten und sie schlugen. Egal, wie er sich veränderte, er war immer eine Ratte; kauernd mit eingeklemmtem Schwanz zwischen den Beinen, unfähig, Licht zu sehen. Die Jahre umsonst verstreichen ließ, und Zeit und Leben vergeudet hatte.

Inzwischen war Yue Qingyuan zu einem wahren Phönix geworden, der zum Gipfel geflogen war. Ein Karpfen, der über das Drachentor gesprungen war.

„Entschuldigung, Entschuldigung, Entschuldigung ... Alles, was du jemals getan hast, ist, dich zu entschuldigen“, Shen Jiu grinste höhnisch und versetzte dann den letzten Schlag, „Die sind völlig nutzlos.“

Manche Menschen waren von Geburt an verdorben. Shen Jiu dachte genauso über sich selbst – jemand, der von Anfang an abscheulich und gehässig war. Denn in diesem Moment kam er zu einer glasklaren Erkenntnis:

Dass er lieber einen Yue Qi getroffen hätte, der in einer unbekannten Ecke gestorben wäre, dessen Überreste unansehnlich und vergessen wären, als einen eleganten und mächtigen Yue Qingyuan, dessen Aussichten und Zukunft grenzenlos waren.

 

 

—Teil 4 —

 

 

Shen Jiu hasste viel zu viele Menschen und viel zu viele Dinge.

Offensichtlich fiel es den Leuten schwer, etwas Gutes über den Charakter eines Menschen zu sagen, der selbst alles hasste. Als er Shen Qingqiu wurde, verstand er glücklicherweise, dass er diesen Hass zumindest daran hindern sollte, an die Oberfläche zu sprudeln.

Innerhalb vom Cang-Qiong-Berg war derjenige, den er ohne den geringsten Zweifel hasste, Liu Qingge.

Liu Qingge hatte bereits in seiner Jugend Erfolge erzielt. Seine Talente waren außergewöhnlich, seine spirituelle Energie enorm und sein Schwertkampf beeindruckend. Sein familiärer Hintergrund war ausgezeichnet und seine beiden Eltern lebten noch. Jedes dieser Dinge hätte ausgereicht, um Shen Qingqiu drei Tage und drei Nächte lang mit den Zähnen knirschen und sich hin und her wälzen zu lassen, geschweige denn das sie nun alle zusammen in einer Person vereint waren.

Während des jährlichen Kampfkunstturniers vom Cang-Qiong-Berg war Shen Qingqius Gegner Liu Qingge gewesen. Natürlich war das Ergebnis eine überwältigende Niederlage gegen den zukünftigen Bai-Zhan-Gipfelherrn gewesen, oder vielleicht sollte man sagen, dass es so war, wie es sein sollte. Es war normal.

Aber Shen Qingqiu würde solche Dinge absolut niemals denken. Was er sah, war nicht das Erstaunen des Zuschauers darüber, wie tapfer er so lange durchgehalten hatte, sondern Liu Qingges nüchterne Arroganz, während er die Spitze von Cheng Luans Klinge nur wenige Zentimeter von seiner Kehle entfernt hielt.

Der Qing-Jing-Gipfel war stolz darauf, der Gipfel der Gentleman zu sein und Shen Qingqiu begann, den Gentleman wie einen Fisch im Wasser zu spielen. Doch Liu Qingge war immer in der Lage, seine Wut an die Oberfläche zu bringen, bis zu dem Punkt, dass er sich nicht einmal mehr die Mühe machte, Energie zu verschwenden, indem er nett mit seinen Sektengeschwister spielte.

Das, was Shen Qingqiu am häufigsten zu Liu Qingge sagte, war: „Liu Qingge, ich werde dich definitiv eines Tages töten!“

In diesem nun vorliegenden Fall hatte sich eine zarte junge Dame, die eine Pipa trug, längst in ihre dünnen Roben geworfen und war entsetzt davongelaufen.

Liu Qingge warf ihm einen Blick zu: „Du? Mich töten?"

Es waren nur drei Worte, aber Shen Qingqiu hörte grenzenloses Gift in ihnen. Sein Handgelenk drehte sich.

Yue Qingyuan sah, dass die Situation nicht gut aussah, und drückte Shen Qingqius Ellbogen nach unten, um ihn daran zu hindern, sein Schwert zu ziehen. Er sah mürrisch aus und schrie: „Liu-Shidi! Du solltest jetzt gehen.“

Liu Qingge sah aus, als hätte er keine Lust, sich weiter darum zu kümmern. Mit einem kalten Lachen verschwand seine Gestalt sofort.

Dadurch blieben nur sie beide im 'Warmen Roten Pavillon' zurück. Die Kleidung der einen Person war durcheinander und zerzaust, die der anderen wies keine Mängel auf. Der Kontrast hätte nicht deutlicher sein können.

Yue Qingyuan riss Shen Qingqiu aus dem Bett. Er hatte einen seltenen Wutanfall: „Warum bist du so?“

„Wie bin ich denn?“, fragte Shen Qingqiu.

„Zwei der Hauptschüler des Cang-Qiong-Bergs geraten in eine riesige Schlägerei in einem Bordell — klingt das gut für dich?“

„Wenn du es nicht sagst und ich auch nicht, wer weiß dann, von welcher Sekte wir sind?“, konterte Shen Qingqiu, „Der Cang-Qiong-Berg ist der Cang-Qiong-Berg. Sag mir, welche der Regeln vom Cang-Qiong-Berg besagen, dass seine Schüler diesen Ort nicht besuchen dürfen? Der Cang-Qiong-Berg ist kein buddhistisches Kloster oder ein taoistischer Tempel. Sie können möglicherweise alles andere kontrollieren, aber sie können mich nicht davon abhalten, nach Frauen zu suchen! Wenn Shixiong so etwas beschämend findet, dann sollte er lieber auf Liu Qingges Mundwerk aufpassen.“

Tatsächlich hatte der Cang-Qiong-Berg eine solche Regel nie ausdrücklich angeordnet. Aber die Kultivierer sollten das Konzept der Bewahrung eines reinen Herzens, einer reinen Natur und der Ausübung von Selbstdisziplin natürlich verstehen — besonders diejenigen vom Qing-Jing-Gipfel, wo die Gipfelherren und Schüler ausnahmslos tugendhaft und unbefleckt geblieben waren. Stattdessen war dieser ungeschriebene Konsens zu Shen Qingqius Rechtfertigung für Spitzfindigkeiten geworden.

Sprachlos verbrachte Yue Qingyuan einige Zeit damit, seine Worte herunterzuschlucken, bevor er eine gedämpfte Antwort gab: „Ich werde nichts sagen. Liu-Shidi und die anderen werden auch nichts sagen. Niemand wird es erfahren.“

„Dann muss ich euch beiden danken“, sagte Shen Qingqiu, während er seine Schuhe anzog.

„Das Verlangen nach Frauen schadet der eigenen Kultivierung“, sagte Yue Qingyuan.

Shen Qingqiu spottete. „Hast du nicht die Worte deines Liu-Shidi gehört? 'Du? Mich töten?' 'Mit deinen Fähigkeiten?' Beschädigt oder nicht, sie sind, wie sie sind.“

Yue Qingyuan schwieg einen Moment: „Liu-Shidi ist gar nicht so ein schlechter Mensch. Er ist mit allen so, nicht nur mit dir.“

Shen Qingqiu spottete: „Mit allen so? Versuch nicht, mich zu täuschen, Zhangmen-Shixiong. Ist er bei dir auch so?“

„Wenn du ihm auch nur eine einzige Portion Freundlichkeit entgegenbringst, wird er es dir zweifach zurückgeben“, sagte Yue Qingyuan geduldig.

„Zhangmen-Shixiong ist wirklich rücksichtsvoll und verständnisvoll. Es ist nur, warum erweist er mir nicht zuerst seine Güte? Warum hat er kein Mitleid mit mir? — Zeigt er mir etwas Mitgefühl? Warum muss ich ihm entgegenkommen?“

Da sich Shen Qingqiu gegenüber jeder seiner Bitten taub gestellt hatte, fand Yue Qingyuan es schwierig, weiterzusprechen. Schließlich konnte er ihm nicht direkt etwas sagen wie: Wenn du Liu Qingge nach dem Treffen nicht mit allen Mitteln aufgelauert hättest, um ihm eine Lektion zu erteilen, würdet ihr beide jetzt nicht bei der geringsten Berührung in Wut geraten, noch würdet ihr euch beim bloßen Anblick verabscheuen.

Shen Qingqiu zog seine Kleidung mit einem Ruck seiner Hand über seine Schulter zurecht, dann steckte er Xiu Ya in seine Scheide. Nachdem er zwei Schritte gegangen war, fiel ihm etwas ein und er drehte sich um, um zu fragen: „Wie hast du mich hier gefunden? Wer hat es dir gemeldet?“

„Ich bin zum Qing-Jing-Gipfel gegangen, habe dich aber nicht gesehen“, sagte Yue Qingyuan, „Dann sah ich ein paar Shidis vom Bai-Zhan-Gipfel, die sich darauf vorbereiteten, hierher zu kommen.“

„Sich darauf vorbereiteten, um wofür hierher zu kommen?“

Yue Qingyuan verstummte.

Shen Qingqiu spottete: „Vorbereitung, sich gegen mich zu verbünden, nicht wahr?“

Obwohl es oft zu Konflikten zwischen Shen Qingqiu und dem Bai-Zhan-Gipfel kam, war der Konflikt dieses Mal wirklich übertrieben. Ein Schüler des Bai-Zhan-Gipfels war für eine Aufgabe in diese kleine, abgelegene Stadt gegangen, wo er zufällig gesehen hatte, wie eine vertraute Person das groß angelegte Bordell in dieser Gegend, den 'Warmen Roten Pavillon', betreten hatte. Von oben bis unten empfand der Bai-Zhan-Gipfel dasselbe wie Liu Qingge: Keiner von ihnen hegte gegenüber Shen Qingqiu Wohlwollen. Deshalb hatte sich der Schüler offensichtlich geweigert, seine Chance ungenutzt zu lassen. Er war Shen Qingqiu direkt an diesen Ort gefolgt und hatte gesagt, dass er für ihre gesamte Sekte das Gesicht verloren habe.

Nach ein paar undiplomatischen Worten hatte Shen Qingqiu ihn brutal geschlagen und ihn mit schweren Verletzungen zurückgelassen. Als dieser Schüler zum Bai-Zhan-Gipfel zurückgekehrt war, war er auf Liu Qingge getroffen. Nachdem er ihn verhört hatte, hatte Liu Qingge vor Wut gekocht. Er war sofort mit seinem Schwert herübergeeilt, um sich zu rächen. Bereit, Shen Qingqiu für jeden Hieb zu schlagen.

Hätte Yue Qingyuan nicht die jüngeren Schüler vom Bai-Zhan-Gipfel bei ihren Vorbereitungen erwischt, zum Qing-Jing-Gipfel zu gehen, um Shen Qingqius Bambusunterkunft auseinander zu nehmen, dann  wäre nicht abzusehen gewesen, welchen Schaden diese kleine Stadt erlitten hätte.

Nichts davon, außer dass Yue Qingyuan sich weigerte zu sprechen, machte es Shen Qingqiu möglich die Situation zu erraten. Als ob der Bai-Zhan-Gipfel jemals gute Absichten gehabt hätte. Also wechselte er das Thema: „Warum bist du zum Qing-Jing-Gipfel gegangen? Habe ich dir nicht gesagt, dass du nicht nach mir suchen sollst?“

„Ich wollte nur sehen, wie es dir geht“, sagte Yue Qingyuan.

„Ich habe Yue-Shixiong beunruhigt“, sagte Shen Qingqiu, „Mir geht es sehr gut. Ich mag für die meisten Leute ein hasserfülltes Ding sein, aber zum Glück verachtet mich der Qing-Jing-Gipfelherr nicht.“

„Wenn es dir wirklich gut geht, warum übernachtest du nie auf dem Qing-Jing-Gipfel?", fragte Yue Qingyuan und folgte ihm auf den Fersen.

Shen Qingqiu sah ihn finster an. Er wusste, dass Yue Qingyuan denken musste, dass er vom Rest des Qing-Jing-Gipfels ausgeschlossen wurde.

Yue Qingyuan war nicht uneinsichtig, aber diesmal lag er wirklich falsch. Obwohl Shen Qingqiu unter seinen Altersgenossen unbeliebt war, ging es nicht so weit, dass er aus den gemeinsamen Schlafquartieren geworfen wurde.

Er hasste es einfach, in der Nähe von Gleichgeschlechtlichen zu sein.

All die Jahre, immer wenn eine seiner Prügelstrafen von Qiu Jianluo vorbei war oder wenn er Vorahnungen über weitere Prügelstrafen hatte, war er in Qiu Haitangs Zimmer gekrochen und dort zitternd geblieben. Da Qiu Jianluo nicht bereit war, seiner Schwester seine verdrehte und verrückte Seite von sich zu zeigen, war dies der einzige Ort, an dem sich Shen Jiu verstecken konnte.

Und vor noch längerer Zeit hatte es ein Mädchen in ihrer Gruppe gegeben, ihre große Schwester. Aber nachdem sie ein bestimmtes Alter erreicht hatte, war diese große Schwester an einem verkümmerten alten Mann verkauft worden, um seine zweite Frau zu werden. Danach hatten sie die Stadt verlassen, also hatten sie sie nie wieder gesehen.

Frauen zu mögen ist nicht im Geringsten beschämend, aber Frauen wie Retter zu behandeln, sich in ihre Umarmung zu kauern und in ihnen Mut zu suchen ... sogar, ohne dass man es sagte, wusste Shen Qingqiu, dass das entsetzlich beschämend war. Selbst wenn es seinen Tod bedeuten würde, würde er es niemandem erzählen, schon gar nicht Yue Qingyuan.

„Wenn ich sagen würde, dass es mir beim Qing-Jing-Gipfel nicht gut geht, was würdest du tun?“, fragte Shen Qingqiu langsam und angemessen, „Würdest du mir helfen, den Qiong-Ding-Gipfel zu betreten, so wie du mich für den Qing-Jing-Gipfel empfohlen hast?“

Yue Qingyuan dachte kurz darüber nach und sagte dann ernst: „Wenn es das ist, was du willst.“

„Das will ich natürlich nicht“, sagte Shen Qingqiu mit entschlossenem Schnauben, „Ich möchte Hauptschüler bleiben. Wärst du bereit, mir deine Position zu geben? Lässt du mich der Sektenanführer werden?“, fragte er energisch und hochmütig, „Im Guten wie im Schlechten steht der Qing-Jing-Gipfel an zweiter Stelle unter den zwölf Gipfeln. Ich werde lieber warten, bis ich erfolgreich bin.“

Yue Qingyuan seufzte: „Xiao-Jiu, warum musst du dich immer so verhalten?“

Als er diesen Namen hörte, erzitterte Shen Qingqius ganzer Rücken vor unvergleichlicher Verärgerung: „Nenn mich nicht so!“

Unter seinen Altersgenossen aus der 'Qing'-Generation stach Shen Jiu als scharfsinniger und einfallsreicher hervor, sodass der Gipfelherr ihn sehr mochte. Er war noch nicht lange dabei und seine Grundlage war noch nicht auf Augenhöhe mit seinen Altersgenossen und doch war er zum Nachfolger bestimmt worden. Sobald der Gipfelherr seinem Hauptschüler neue Namen gab, wurden die ursprünglichen verworfen.

In der Vergangenheit hatte Qiu Jianluo Shen Jiu gezwungen, lesen und schreiben zu lernen. Shen Jiu war lernunwillig gewesen, hatte es bis zum Wahnsinn verabscheut, aber jetzt war es ihm nur durch seine Fähigkeiten im Lesen und Studieren — indem er klüger als seine Altersgenossen war — gelungen, die Gunst des Qing-Jing-Gipfelherr zu gewinnen. Um es noch lächerlicher zu machen, hatte ihn der Gipfelherr von den Tausenden möglichen Namen auf dieser Welt zufällig 'Qingqiu' benannt.

Aber egal wie lächerlich, egal wie es ihn mit den Zähnen knirschen ließ, Shen Qingqiu wollte immer noch diesen Namen, denn dieser Name repräsentierte, dass ihm von nun an ein strahlendes neues Leben gehörte.

Shen Qingqiu sammelte seine Gedanken und lächelte glücklich: „Dieser Name juckt mich jedes Mal, wenn ich ihn höre. Ich habe ihn lange vergessen. Also bitte, Zhangmen-Shixiong, du solltest ihn auch vergessen.“

Yue Qingyuan antwortete: „Dann wäre der Tag, an dem du darauf reagierst, der Tag, an dem er dich nicht mehr irritiert?“

Eine Pause. Shen Qingqiu spottete: „Das wird nie passieren. Yue Qingyuan, erlaube mir, es noch einmal zu sagen: Lass mich diesen Namen nie wieder hören.“

 

—Teil 5 —

 

Shen Qingqiu konnte es schließlich nicht länger ertragen. Er ging zum Qiong-Ding-Gipfel.

Wenn es um den Qiong-Ding-Gipfel ging, versuchte Shen Qingqiu immer, ihn so wenig wie möglich zu besuchen. Und wenn es um Yue Qingyuan ging, versuchte er auch immer, ihn so wenig wie möglich zu sehen.

Daher bereitete ihm das alljährliche Kampfkunstturnier der zwölf Gipfel schreckliche Schwierigkeiten.

Die zwölf Gipfel vom Cang-Qiong-Berg hatten eine feste Rangfolge. Diese Rangfolge war unabhängig von der Stärke jedes Gipfels. Vielmehr wurde sie schon damals festgelegt, als sich die erste Generation von Cang-Qiong-Berg-Gipfelherren etabliert hatte. Alle aufeinanderfolgenden Gipfelherren hatten sich einander nach dieser Rangordnung und nicht nach ihrer Eintrittsreihenfolge in der Sekte angesprochen. Obwohl er einige Zeit nach Liu Qingge in die Sekte eingetreten war und da der Qing-Jing-Gipfel den zweiten Platz belegte nur der Qiong-Ding-Gipfel lag über ihm, während der Bai-Zhan-Gipfel den siebten Platz belegte , musste Liu Qingge Shen Qingqiu immer noch mit 'Shixiong' ansprechen, wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen.

Gleichzeitig wurden die Schüler des Qiong-Ding-Gipfels und die Schüler des Qing-Jing-Gipfels aufgrund dieser Rangfolge üblicherweise so positioniert, dass ihre Gruppen benachbart waren. Obendrein mussten ihre Hauptschüler Seite an Seite stehen.

Yue Qingyuan war nicht in der Lage, Shen Qingqiu zu anderen Zeiten zu erwischen, also nutzte er diese Gelegenheiten, um ihm alle möglichen Fragen zu stellen. Er schwatzte ununterbrochen, während er sich nach wichtigen Dingen erkundigte, wie zum Beispiel, wie seine Kultivierung und sein Studium vorangingen, sowie nach trivialen Dingen, wie zum Beispiel, ob er ausreichend Nahrung oder Kleidung hatte oder ob ihm kalt oder warm war. Obwohl Shen Qingqiu dieses Ärgernis als unerträglich empfand, war er nicht dumm genug, den obersten Schüler des Sektenanführers vor einem so großen Publikum in Verlegenheit zu bringen. Auf jede der zwanzig Fragen, die Yue Qingyuan stellte, beantwortete er eine, wobei er sowohl seine Distanz als auch seine Höflichkeit bewahrte, während er über die Techniken aus seinem Studium am Vorabend grübelte und andere Dinge in Betracht zog.

Dies war jedes Jahr die komischste Szene des Kampfkunstturniers. Vielleicht war es den beiden nicht klar, aber für viele Schüler war das Beobachten dieser beiden Hauptschüler der einzige Spaß, den man während der langweiligen Ansprachen der Gipfelherren haben konnte. Sie würden zusehen, wie sich einer der Beteiligten anders verhielt und die Stille ignorierte, während er murmelte und flüsterte, während die andere Partei geistesabwesend geradeaus starrte, mit dem Saum spielte und hustete.

Daher hatte Shen Qingqiu nicht viel zu sagen. Er hatte kein Interesse daran, für andere die Rolle des Zirkusaffen zu spielen. Er beantragte die Erlaubnis, sich in den Ling Xi-Höhlen kultivieren zu dürfen, verließ sie dann aber kurz darauf wieder.

Von der Außenwelt isoliert, flossen die Lang Xi-Höhlen mit reichlich spiritueller Energie über. Als Shen Qingqiu sich durch die Höhlen bewegte, wurde sein Gesichtsausdruck zunehmend grimmiger.

Diese Tage, die er unter Qin Jianluo und Wu Yanzi verschwendet hatte, waren von nicht geringer Bedeutung gewesen.

Innerhalb der neuen Generation von Gipfelherren hatte Yue Qingyuan natürlich zuerst die Kernbildung erreicht. Qi Qingqi und Liu Qingge waren ihm praktisch auf den Fersen gefolgt und gleichzeitig durchgebrochen. Shang Qinghua vom An-Ding-Gipfel hatte mit seinem mittelmäßigen Hintergrund kaum mithalten können — aber selbst er hatte den offiziellen Aufstieg erreicht.

Doch je ängstlicher Shen Qingqiu wurde, desto mehr steckte er fest, bis er an Ort und Stelle hängen blieb und nicht mehr weiterkommen konnte. Er war geplagt von Stress und Angst. Es war, als würde er jeden Tag hundert Kilo Kautabak schlucken: Es schwelte in seinem Kopf und Bauch und schürte seine Flammen der Wut und Verärgerung, bis sie ausbrachen. Mit einem Shen Qingqiu wie diesem wagte es niemand, seine schlechte Seite abzukommen. Aber selbst, wenn sie es nicht wagten, ließ Shen Qingqiu sie nicht gehen.

Luo Binghe benutzte das falsche Kultivierungshandbuch, das Shen Qingqiu ihm gegeben hatte. Er hätte längst sterben sollen, blutend aus den sieben Öffnungen, sein Körper bis auf die Knochen, die Haut, die Meridiane, die Sehnen und das Fleisch aufgebrochen. Aber nicht nur, dass dies nicht zustande kam, nein, Luo Binghes Kultivierung verbesserte sich ständig.

Außerdem hatte Shen Qingqiu Ning Yingying tausende Male gesagt, dass sie sich von Luo Binghe fernhalten solle und dass sie sich nicht mit ihm einlassen dürfe. Warum sah er sie also jeden Tag, wie sie vor seinen Augen miteinander flüsterten?

Shen Qingqiu war von Paranoia erfüllt: Er hatte immer das Gefühl, dass ihm alle heimlich den Rücken zukehrten und darüber diskutierten, wie er selbst nach so langer Zeit keine Kernbildung erreichen konnte. Dass es für jemanden in seiner Position unpassend war. Dass sie so hofften, ihn heimlich fertigzumachen und ihn ersetzen zu können.

Also hat er sich jetzt in die Ling Xi-Höhlen zurückgezogen. Wenn er immer noch keinen Durchbruch schaffte ...

Shen Qingqiu saß auf der Steinplattform, aber seine Gedanken drehten sich weiter überall hin, bis er in kalten Schweiß geriet. Seine Atmung und sein Kreislauf stockten, Sterne blitzten in seinem Blickfeld auf. Plötzlich spürte er einen Ausbruch spiritueller Energie, der durch seine Meridiane wütete.

Das war keine Kleinigkeit, er verfiel schnell in Panik und saß dann fest, während er versuchte, seinen Verstand zu zügeln — als sich ihm plötzlich eine Person von hinten näherte.

Shen Qingqius Haare stellten sich zu Berge und er schnappte sich Xiu Ya, zog es halb hoch und schrie: „Wer ist da?!“

Eine Handfläche drückte sanft gegen seine Schulter.

„Ich bin es“, sagte Yue Qingyuan.

Shen Qingqiu sagte nichts.

Yue Qingyuan schickte ihm weiterhin spirituelle Energie und beruhigte seine wilden spirituellen Schwankungen in ihrem heftigen Ansturm: „Ich entschuldige mich. Dein Verstand und dein Geist sind derzeit gestört, ich habe dich erschreckt.“

Shen Qingqiu hatte Angst vor seinen eigenen Gedankenspiralen. Aus diesem Grund war er noch weniger bereit, darauf zu hören, wie andere darauf hinwiesen.

„Wer hat Angst?“, schnappte er wütend, „Zhangmen-Shixiong betritt niemals die Ling Xi-Höhlen, um sich zurückgezogen zu kultivieren, oder? Warum also musst du in dem Moment, in dem ich es tue, mit mir um einen Platz kämpfen?“

„Es stimmt nicht, dass ich sie nie betreten habe“, sagte Yue Qingyuan, „Ich bin schon einmal hierhergekommen.“

Shen Qingqiu war von diesem Berührungsgrad verwirrt: „Wen kümmert es, ob dein geschätztes Selbst hierhergekommen ist?“

Yue Qingyuan seufzte: „Shidi, kannst du nicht einfach eine Weile ruhig bleiben und dich darauf konzentrieren, deine Atmung zu regulieren?“

Auf einem steinernen Kerzenhalter, der mit getrocknetem Wachs überzogen war, flackerte eine schwache Flamme. Shen Qingqiu hatte nicht vorgehabt zu antworten, aber als er den vollen Anblick der von ihm gewählten Höhle in sich aufnahm, war er fassungslos: „Hat sich hier drin jemand bis zum Tod duelliert?“, platzte er heraus.

Unzählige Hiebe von einer Klinge oder Axt waren in die Höhlenwände geritzt und hatten den Eindruck eines entstellten Gesichts, das mit einer Schicht von Narben bedeckt war, hinterlassen. Die Wirkung war sowohl unheimlich als auch erschreckend.

Hinter ihm sagte Yue Qingyuan: „Nein. Duelle sind in den Ling Xi-Höhlen verboten.“

Abgesehen von den Schwerthieben gab es auch unzählige dunkelroter Blutflecken. Einige sahen aus wie Blutspritzer, als wären sie dort verspritzt worden, nachdem jemand von einer scharfen Klinge durchbohrt worden war. Andere schienen von jemandem zu stammen, der seine Stirn gegen die Wand geschlagen hatte, als ob derjenige um etwas betteln würde, und sie hatten bei jedem Aufprall einen Abstrich nach dem anderen hinterlassen.

Shen Qingqiu starrte auf diese fast schwarzen Flecken: „Dann ... ist jemand hier gestorben?“

Wann immer sie sich unterhielten, war es normalerweise Yue Qingyuan, der unermüdlich redete. Noch nie hatte es eine Situation wie diese gegeben, in der Yue Qingyuan sich weigerte, ein einziges Wort zu sagen.

Shen Qingqiu fand dies so fremdartig und seltsam, dass sich Gänsehaut auf seinem Körper ausbreitete: „Yue Qingyuan?“

„Ich bin hier.“

„Wenn du hier bist, warum sagst du dann nichts?“

„Ist es nicht, weil du es in dem Moment, in dem ich es tue, ärgerlich wirst?“

Shen Qingqiu schnaubte und lachte: „Das stimmt. Du bist sehr nervig. Du weißt es also auch!“

Aber er wollte mit dieser Dunkelheit nicht verstummen, also konnte er diese Unterhaltung nur ungern weiterführen: „Ich habe gehört, dass sie manchmal Schüler und andere Sektenmitglieder in die Ling Xi-Höhlen einschließen — wie diejenigen, die eine Qi-Abweichung erfahren oder diejenigen, die auf unnatürliche Pfade zurückgegriffen haben. Glaubst du, dass dies so eine dieser Situationen gewesen sein könnte?“

Nach einer langen Zeit machte Yue Qingyuan ein unverbindliches Geräusch: „Oh.“

Shen Qingqiu hatte also die kalte Schulter gezeigt bekommen, aber er schielte immer noch auf ein Stück Mauer: „Es scheint, dass derjenige, der das war, unbedingt gehen wollte“, schloss er, „Er hat lange gekämpft, bevor er starb.“

Wenn dieses Blut von derselben Person stammt, selbst wenn sie überlebt hätte, wäre sie mit einem Fuß im Grab.

Shen Qingqiu hatte plötzlich das Gefühl, dass etwas mit der Hand, die Yue Qingyuan auf seinem Rücken gelegt hatte, nicht stimmte. Alarmiert sagte er: „Was ist los?“

Es dauerte lange, bis Yue Qingyuan antwortete: „Nichts.“

Shen Qingqiu war still.

Er konnte Yue Qingyuans Gesichtsausdruck nicht sehen, während dieser hinter ihm stand, aber er konnte fühlen, wie die Hand ihm spirituelle Energie gab und wie sie leicht zitterte.

 

—Teil 6 —

 

Als Shen Qingqiu sich bewegte, fühlte er eine Kühle aus den Wunden an seinem Körper rieseln. Der brennende, höllische Schmerz war um einiges gelindert worden.

Er kämpfte mit seinen Augen. Auf einem Knie neben ihm saß eine Gestalt, die gerade nach unten blickte, während er Shen Qingqius Zustand untersuchte.

Auf der weißen Steinplattform war ein schwarzer Saum gleichmäßig verteilt, darunter lag ein schlichtes und rustikales Langschwert. Mehrere leere, umgefallene Medizinflaschen lagen verstreut herum.

Das Schwert Xuan Su. Die Person war, wie zu erwarten, Yue Qingyuan. Es war dasselbe sanfte und schöne Gesicht, nur ein ganzes Stück blasser als sonst, die Erschöpfung war offensichtlich. Zu dieser Zeit kam nur noch Yue Qingyuan, um ihn zu besuchen.

„Wie bist du reingekommen?“, fragte Shen Qingqiu mit heiserer Stimme. Luo Binghe war entschlossen, ihn leiden zu lassen. Auf keinen Fall wäre er bereit gewesen, Yue Qingyuan in das Wassergefängnis zu lassen, nur um ihm dadurch eine Aufmunterung zukommen zu lassen.

Als Yue Qingyuan sah, dass Shen Qingqiu sprechen konnte, seufzte er erleichtert auf. Er heilte seine Hand, während er flüsterte: „Hör auf zu reden. Konzentriere dich.“

Er wollte spirituelle Energie in Shen Qingqiu weiterleiten und diesen Wunden helfen, schneller zu heilen. Diesmal wischte Shen Qingqiu ihn endlich nicht beiseite, denn gerade jetzt dachte er: Das ist richtig, egal was passiert, er ist immer noch ein Sektenanführer.

So schroff Luo Binghe und dieser alte Knacker aus dem Huan-Hua-Palast auch sein wollten, sie mussten wenigstens ein wenig oberflächliche Höflichkeit zeigen.

Aber es musste Yue Qingyuan viel Mühe gekostet haben, sich Zutritt zu verschaffen.

Spirituelle Energie strömte durch Shen Qingqius Wunden und der Schmerz in seinem wunden Fleisch fühlte sich an, als würden dichte Büschel eiserner Nadeln in ihn stechen. Shen Qingqiu biss die Zähne zusammen, sein Hass stieg so weit, dass er stattdessen lachte: „Dieser kleine Bastard Luo Binghe hat sicher viele Tricks im Ärmel.“

Beim Klang des knochentiefen Giftes in seiner Stimme seufzte Yue Qingyuan erneut. In Wahrheit war Yue Qingyuan nicht der Typ, der viel seufzte, aber Shen Qingqiu war unweigerlich in der Lage, ihn bis auf die Knochen zu zermürben.

„Shidi“, sagte er erschöpft, „wir sind schon so weit gekommen, also warum weigerst du dich immer noch, über deine Missetaten nachzudenken?“

Selbst wenn ihm jemand die Zähne ausgeschlagen hätte, selbst wenn er sein eigenes Blut geschluckt hätte, hätte sich Shen Qingqiu immer hartnäckig geweigert, seine Verstöße zuzugeben — besonders vor Yue Qingyuan, vor dem man jegliche Geständnisse sofort vergaß.

„Welche 'Missetaten'?“, fragte Shen Qingqiu bitter. „Zhangmen-Shixiong, bitte sag mir, was ist Luo Binghe, wenn nicht ein Bastard? Warte es einfach ab. Er wird nicht damit zufrieden sein, es nur an mir auszulassen. Wenn in der Zukunft ein turbulenter Sturm die Kultivierungswelt erschüttert, dann war das Einzige, was ich getan habe, der Fehler gewesen, ihn nicht von Anfang an niederzustrecken.“

Yue Qingyuan schüttelte den Kopf. Es schien, als hätte er mit dieser Antwort gerechnet und keine Lust, ihn zu belehren oder zu ermahnen. Die Situation war bereits über den Punkt hinaus, an dem es ein Zurück gab. Jede weitere Ermahnung war zwecklos. Plötzlich fragte er: „Hast du wirklich Liu-Shidi getötet?“

Shen Qingqiu wollte ihm überhaupt nicht ins Gesicht sehen, während er antwortete. Aber er konnte nicht anders, als seinen Blick zu heben und Yue Qingyuans Gesichtsausdruck einen kurzen Augenblick zu betrachten. Er erstarrte für einen Moment, dann riss er abrupt seine Hand aus Yue Qingyuans Griff und setzte sich auf.

„Du hast wiederholt gesagt, dass du ihn eines Tages töten würdest“, sagte Yue Qingyuan, „Aber ich hätte nie gedacht, dass du es wirklich tun würdest.“

„Warum denkst du das jetzt gerade?", fragte Shen Qingqiu kalt, „Er wurde bereits getötet. Glaubt Zhangmen-Shixiong nicht, dass es jetzt zu spät ist, diesen bescheidenen Shen zurechtzuweisen? Oder willst du die Sekte säubern?“

„Ich habe kein Recht, dich zu tadeln“, erwiderte Yue Qingyuan.

Sowohl seine Augen als auch sein Gesichtsausdruck waren außerordentlich gelassen, so sehr, dass Shen Qingqiu unerklärlicherweise vor Scham wütend wurde: „Was versuchst du dann zu tun?!“

„Hat Shidi nie erwogen, dass all das, was sich heute abspielte, niemals passiert wäre, wenn du Luo Binghe am Anfang nicht so behandelt hättest?“

Shen Qingqiu brach in Gelächter aus: „Warum sagt Zhangmen-Shixiong so lächerliche Dinge? Was geschehen ist, ist geschehen. Ich habe es bereits hundert-, nein tausendmal 'erwogen'! Es gab kein 'wenn' am 'Anfang' — es gab nie eine Chance auf Erlösung!“

Yue Qingyuan hob langsam sein Gesicht.

Shen Qingqiu wusste, dass das Aussprechen dieser Worte so gut war, wie ein Messer zu nehmen und es in Yue Qingyuans Brust zu stechen. Zuerst war er fröhlich, aber dann schaute er Yue Qingyuan an, der verstört wirkend vor ihm kniete, während er Shen Qingqiu ausdruckslos anstarrte. Yue Qingyuans ganze Gelassenheit, Ausgeglichenheit und Haltung waren verschwunden, als wäre er im Handumdrehen um viele Jahre gealtert. Und als Shen Qingqiu dies sah, stieg plötzlich ein seltsames Gefühl in seinem Herzen auf.

Wahrscheinlich war es Mitleid.

Der unerschütterliche Berg, der sich nie verändert hatte, der ewig ruhige und gesammelte Sektenanführer vom Cang-Qiong-Berg, war in diesem Moment so erbärmlich, so eingeschüchtert, dass Shen Qingqiu nicht anders konnte, als Mitleid zu empfinden.

Und mit diesem Mitleid löste sich endlich etwas in Shen Qingqius Brust. Ein Knoten, der viele Jahre in ihm gesessen hatte.

Damit kam er zu dem erheiternden Schluss, dass Yue Qingyuan wirklich alles getan hatte, was er konnte. Er hatte sein Bestes getan, um sowohl der Forderung nach Freundlichkeit als auch seiner Pflicht nachzukommen. Unabhängig davon, wie viel Schuld auf seinem Herzen lastete, war seine Schuld längst vollständig zurückgezahlt worden.

„Du solltest gehen“, sagte Shen Qingqiu, „Ich sage dir Folgendes: Auch wenn all dies von Anfang an neu gemacht werden könnte, würde das Ergebnis am Ende dasselbe bleiben. Mein Herz ist voller Bosheit, mein Inneres voller Hass und Groll. Heute wünscht sich Luo Binghe für mich, dass ich fürchterlich sterbe, und daran bin nur ich selbst schuld.“

„Hegst du immer noch solchen Hass in dir?“, fragte Yue Qingyuan.

Shen Qingqiu lachte schallend: „Nur wenn ich andere unglücklich sehe, kann ich selbst glücklich sein. Was denkst du?“

Yue Qingyuan hielt Xuan Su in beiden Händen und bot es Shen Qingqiu an: „Wenn du immer noch solchen Hass hegst, ziehe Xuan Su und nimm mir das Leben.“

Shen Qingqiu spottete: „Du bittest mich, dich hier zu töten, Sektenanführer Yue? Bist du unzufrieden mit den Verbrechen, die dir meinetwegen bereits zur Last gelegt werden? Du denkst es sind zu wenige? Außerdem, für wen hältst du dich? Ich dich töten? Ich bin weit über Heilung hinaus. Ich hasse alles! Tadel diesen bescheidenen Shen nicht für Respektlosigkeit oder Spott, aber wenn Sektenanführer Yue sich selbst für das Heilmittel hält, hat er eine zu hohe Meinung von sich!“

Er war mit seiner Demütigung gegenüber Yue Qingyuan umwerfend direkt, doch dieser zog seine Hand nicht zurück. Es war, als hätte er es nicht verstanden. Stattdessen schien er all seinen Mut zusammenzunehmen: „Xiao-Jiu, ich—“

„Nenn mich nicht so!“, knurrte Shen Qingqiu.

Langsam sackten Yue Qingyuans Hände herunter und das Schwert senkte sich mit ihnen. Ein langer Moment verging und er hielt wieder Shen Qingqius Hand. Er schickte ihm einen unaufhörlichen Strom spiritueller Energie und half, diese Verletzungen zu lindern.

Es war, als wäre sein Mut erschüttert worden, denn in den darauf folgenden Momenten öffnete Yue Qingyuan nicht wieder den Mund, um zu sprechen.

Schließlich legte Yue Qingyuan Xuan Su wieder an seine Taille, kam dann Shen Qingqius Wunsch nach und ging langsam hinaus.

Wenn du dem entkommen kannst, Sektenanführer Yue, dann geh weit weg, so weit weg du kannst. Beteilige dich von nun an nie wieder an so etwas wie Shen Qingqiu.

 

—Teil 7 —

 

Mit dem verbliebenen Auge starrte Shen Qingqiu auf den Kellereingang. Nachdem er eine unbekannte Anzahl von Tagen darauf gestarrt hatte, kehrte Luo Binghe schließlich zurück.

Selbst in einem feuchten und düsteren unterirdischen Gefängnis war Luo Binghe so anmutig und elegant wie immer, unberührt und makellos. Als er über die verhärteten, geschwärzten Blutflecken auf dem Boden trat, sprach er charmant: „Sektenanführer Yue hat den Termin wie erwartet eingehalten. Ich bin wirklich dankbar für diesen taktvollen, aber traurigen Blutbrief, den Shizun geschrieben hat. Sonst hätte dieser Schüler nie so leicht erfolgreich sein können. Ursprünglich wollte dieser Schüler den Körper des Sektenanführers Yue zurückbringen, um ihn Shizun zu zeigen, aber die Pfeile waren mit einem seltenen Gift getränkt. Als er ihnen zu nahe kam und sie auch nur leicht berührte, konnte Sektenanführer Yue nur … Ach, nicht so wichtig. Ich konnte nur sein Schwert mitbringen. Nennen wir es ein Andenken für Shizun.“

Luo Binghe hatte gelogen.

Luo Binghe war ein schamloser, verräterischer kleiner Lügner, der nur Unwahrheiten sprach. Seine flagranten Lügen waren unzählbar. Also musste er auch dieses Mal mit einer Verschwörung oder einem Plan alle hinters Licht geführt haben, um andere zu täuschen.

Luo Binghe setzte sich auf einen Stuhl an der Seite. Wann immer er Shen Qingqiu schreien und jammern sah, benutzte er immer diesen Sitzplatz. Er kratzte an den Blättern, die in seiner dampfenden Tasse Tee trieben und kommentierte: „Helden und berühmte Schwerter kommen immer zusammen. Xuan Su war in der Tat eine ausgezeichnete Klinge, die des Sektenanführers Yue würdig war. Dieses Schwert hat jedoch etwas Wundersames an sich. Die Kultivierung von Sektenanführer Yue hat mir wirklich die Augen geöffnet. Während Shizun seine verbleibenden Tage hier genießt, könnest du, falls du dich langweilst, darüber nachdenken, was ich damit gemeint habe. Es war wirklich sehr interessant.“

Shen Qingqiu verstand nicht.

Im Wassergefängnis des Huan-Hua-Palastes hatte er bei ihrem letzten Treffen sein Äußerstes getan, um gefühllos, grausam und sarkastisch zu sein. Er hatte Yue Qingyuan gesagt, er solle verschwinden und Yue Qingyuan hatte es getan. Shen Qingqiu war sich nicht sicher, ob dieser Blutsbrief ihn hierher rufen würde. Aber kein normaler Mensch, wenn er vernünftig denken würde, wäre in eine so unverhohlene Falle getappt.

Er verstand es immer noch nicht.

Ich dachte, du würdest nicht kommen.

Luo Binghe fand, dass seine Leistung noch nicht ausreichend war. Er lächelte breit: „Ah, richtig. Obwohl Shizuns Blutbrief schrecklich herzzerreißend war, war er ein bisschen schlampig und halbherzig. Immerhin war er für diesen Schüler unter großem Druck oberflächlich geschrieben worden. Dieser Schüler versteht. Deshalb hatte ich diesem Brief, um deine Aufrichtigkeit auszudrücken, zwei andere Dinge als Beilage extra mit beigelegt.“

Shen Qingqiu verstand.

Diese 'anderen Dinge' waren die beiden Beine, die einst an seinem Körper gewesen waren.

Das war viel zu komisch.

Einmal hatte er Tage und Nächte damit verbracht, auf diese Person zu warten und er war nicht gekommen. Und jetzt, wo er nie gedacht hätte, dass diese Person kommen würde, tat er es einfach.

An der Ecke von Shen Qingqius Lippen hing ein kaltes Lächeln: „Ha. Ha ha. Yue Qingyuan, ah, Yue Qingyuan.“

Ursprünglich hätte man Luo Binghes Stimmung als fröhlich bezeichnen können, aber als er dieses bizarre Lächeln sah, wurde er unerklärlicherweise wütend: „Worüber lachst du?“, fragte er ruhig.

Shen Qingqiu ignorierte ihn, aber grinste höhnisch weiter.

Luo Binghe legte seinen fröhlichen Gesichtsausdruck ab: „Shen Qingqiu“, sagte er aufmerksam, „glaubst du, dass es bei mir funktionieren wird, so zu tun, als wärst du verrückt?“

„Luo Binghe“, sagte Shen Qingqiu und betonte jede Silbe, „du bist hier der Bastard, weißt du das?“

Eine plötzliche Stille legte sich um sie.

Luo Binghe starrte ihn an und Shen Qingqiu starrte unbewegt zurück. Plötzlich zuckten Luo Binghes Lippen. Seine rechte Hand streichelte sanft Shen Qingqius linke Schulter und drückte dann zu.

Blut spritzte aus dem frischen Stumpf, der Shen Qingqius linker Arm gewesen war und er heulte auf, während er vor Lachen brüllte, sein Atem stockte und stockte: „Luo Binghe, ha ha ha ha ... Luo Binghe du ...“

Für Luo Binghe war das Foltern von Shen Qingqiu ein unglaublich befriedigender Zeitvertreib. Shen Qingqius Schreie gaben ihm das Gefühl, im Paradies zu schweben. Aber diesmal empfand Luo Binghe aus irgendeinem Grund nicht dieselbe Freude.

Seine Brust hob und senkte sich, sein Heben und Senken wurde immer heftiger. Mit einem Tritt stieß er Shen Qingqiu um, ließ ihn auf der Stelle am Boden herumwirbeln und Blut über den Boden schmieren.

Zuvor hatte Luo Binghe seine beiden Beine auf die gleiche Weise abgerissen, als würde er Gliedmaßen von einem Insekt reißen. Schmerz durchzuckte Shen Qingqiu, die Art, die ihm das Gefühl gab, in der Hölle zu sein. Das Gefühl schien nicht mehr real zu sein.

Im Gegenteil, er wurde scharfsinnig — klar und rational.

„Luo Binghe, alles, was du heute bist, verdankst du mir als deinem Meister, also solltest du mir nicht danken? Stattdessen bist du völlig unfähig zu sagen, was gut für dich ist. Wie erwartet, bist du ein undankbarer Bastard, ha ha ha ha ...“

Luo Binghes Wut verging augenblicklich und er beruhigte sich plötzlich. Sein Lächeln war finster, während er leise sagte: „Willst du sterben? Wie kann so etwas wie der Tod so billig kommen? Shizun, du hast in deinem Leben viel Böses getan. Du verletzt diejenigen, gegen die du einen Groll hegst, und auch diejenigen, gegen die du keinen Groll hegtest. Selbst halb im Grab hast du es geschafft, einen Sektenanführer zu Fall zu bringen. Wenn dein Tod nicht in die Länge gezogen wird, und du nicht gleichzeitig die Leiden aller anderen erträgst, wie könntest du ihnen da gerecht werden?“

Mit einer Handbewegung warf er Xuan Sus Fragmente auf den Boden.

Als Shen Qingqiu das daraus resultierende Klappern hörte, war es, als wäre seine Kehle mit einem unsichtbaren Messer aufgeschlitzt worden — sein Lachen hörte sofort auf.

Inmitten seines glatten Haares und seines blutgetränkten Gesichts leuchtet ein einzelnes Auge hell auf. Ein weißes Feuer, das in der dunklen Nacht glühte. Zitternd schleppte er sich zu diesen zerbrochenen Schwertfragmenten.

Er hatte im Alleingang den Luo Binghe von heute erschaffen, aber wer hatte im Alleingang dieses Ende von Shen Qingqiu herbeigeführt?

Yue Qingyuan hätte ein solches Schicksal nicht erleiden sollen.

Zum Zwecke der Wahrnehmung eines jahrzehntelang verspäteten Termins, um ein vergebliches, wertloses Versprechen einzulösen.

Das Schwert zerbrochen. Der Mann tot.

So hätte es nicht sein dürfen.

Blutfäden, die sich nach außen erstrecken. Kurz bevor sie hätten zusammenlaufen sollen, gingen sie aneinander vorbei.

 

 

 

Erklärungen:

Shishi bedeutet ‘vierzehn’ und Shiwu bedeutet ‘fünfzehn.’

Der Blutbrief ist ein Textstück, das mit dem eigenen Blut als Tinte geschrieben wird. Üblicherweise um seinen Groll, Hass, seine Trauer oder seine Entschlossenheit auszudrücken.

… eine Kröte etwas vom üppigem Schwanenfleisch: Es ist eine Metapher für Menschen, die keine Selbsterkenntnis haben und darauf aus sind, Dinge zu finden, die unmöglich zu erreichen sind.




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