Kapitel 77 ~ Vergangene Gesichter sind längst verschwunden

Shen Qingqiu sagte leise: „Das ist nicht das Problem.“

Luo Binghe gab nicht nach: „Was ist dann das Problem?“

Shen Qingqiu hielt seinen Fächer hoch: „Lass uns zuerst das Problem vor uns lösen. Später können wir dann reden.“

Luo Binghe wich langsam zurück und lächelte dann: „In Ordnung“, sagte er leichthin, „Schließlich haben wir später Zeit zum Reden.“

Jeder in ihrer Gruppe konnte spüren, dass unzählige Kreaturen um sie herum lauerten, bereit zum Sprung, versteckt in den dichten Büschen und dem hüfthohen Gras sowie zwischen den Lücken in den strahlend weißen Trümmerhaufen. Juwelengrüne Augen und zischende Atemzüge hoben und senkten sich wie kleine Kräuselungen.

In diesem Augenblick wurde der Vorteil, Luo Binghe als Vorhut zu haben, vollkommen offensichtlich. In welche Richtung er auch ging, die üblen Winde hörten sofort auf und wurden so still, weil sie nachgaben. Die Kreaturen, die im Hinterhalt warteten, spielten entweder tot in Massen oder flohen in Panik und raschelten dabei.

Um es klar auszudrücken: Es war, als würden sie die Pest meiden ...

Mit dieser Art göttlicher Hilfe erreichten sie ihr Ziel in viel kürzerer Zeit als erwartet.

Wenn in einem wirbelnden, weißen Nebel plötzlich ein Ort auftauchte, der schwarzes Qi direkt in den Himmel speite — dann sah jeder hin, der nicht blind war und würde es dann definitiv seltsam finden.

Der Eingang der Berghöhle war von einem dichten Mantel aus grünen Blättern bedeckt, und wirkte düster und abweisend. Als man am Eingang stand, war es kalt. Alle blieben zögernd stehen.

Ihre ursprüngliche Erwartung war, dass sie, bevor sie diesen Ort erreichen würden, achthundert feindliche Generäle töten, weitere tausend dämonische Kreaturen erschlagen und sich ihren Weg durch alle möglichen giftigen Insekten und fremden Pflanzen bahnen müssten. Erst dann würden sie mühsam auf der letzten Ebene ankommen.

Selbst wenn es nun weniger ereignisreich war, so brauchten ihre Klamotten doch etwas Blut, um einem Bosskampf würdig zu sein, oder?!

„Ich fürchte, wir können nicht ohne Vorsicht vorgehen“, sagte ein Sektenanführer.

„Wir sollten zuerst die Situation untersuchen und abklären“, stimmte ein anderer zu.

„Aber natürlich“, sagte Luo Binghe.

Er hatte gerade zu Ende gesprochen, als Mobei-Jun Shang Qinghua mit einem Tritt zum Fliegen brachte und ihn nach vorne schickte. Und er war wirklich geflogen ... geflogen ... geflogen ...

Unter Shen Qingqius schockiertem Blick taumelte und rutschte Shang Qinghua, während er in das Loch flog, um 'die Situation zu untersuchen und abzuklären'.

Nach einer langen, endlosen Stille explodierte plötzlich ein entsetzter Schrei aus der Höhle: „Ahhhhhhhhhhhhh!“

Blitzschnell schnappte sich Shen Qingqiu eine Handvoll Blätter von einem Weinstock. Er war gerade dabei mit den anderen in die Höhle zu stürmen, als er eine Stimme hörte: „Also treffen wir uns wieder, Gipfelherr Shen.“

Im hinteren Teil der Höhle war Xin Mo in einen Felsspalt gestochen worden. Das schwarze Qi und das violette Miasma, das sie von draußen gesehen hatten, strömte aus seiner Klinge. Tianlang-Jun saß auf einem grünen Stein und nicht allzu weit davor stand Shang Qinghua.

Sonnenlicht fiel von draußen in die Höhle und beleuchtete einen Teil von Tianlang-Juns Körper. Sofort schnappte jemand nach Luft und zog kalte Luft ein.

Shen Qingqiu verstand endlich, warum Shang Qinghua vor Sekunden so schrecklich geschrien hatte. Obwohl das Lächeln auf Tianlang-Juns Gesicht so elegant wie immer war, war die rechte Hälfte seines Gesichts fast vollständig von dem dunklen Purpur des Narkotismus betroffen, was sein Lächeln ungeheuer bizarr machte. Sein linker Ärmel hing schlaff herunter, völlig leer. Es schien so, dass der Arm, der immer wieder abgefallen war, nun nicht mehr wieder befestigt werden konnte.

Dieses aufgeblähte, fast dezimierte Erscheinungsbild war weit entfernt von dem, was Shen Qingqiu sich von einem Endgegner vorgestellt hatte.

Er konnte nicht anders, als Luo Binghe Aufmerksamkeit zu schenken. Aber auf diesem Gesicht lag nur eine Ruhe, die fast hölzern wirkte und Shen Qingqiu konnte nicht sagen, was sie bedeutete.

Tianlang-Jun legte den Kopf schief: „Es sind weniger Leute, als ich gedacht hätte. Ich hatte erwartet, dass es so viele sein würden wie damals auf dem Bai Lu-Berg, mit Hunderten von Meistern, die alle zusammen auf mich zu stürmen.“

Wu Wang schnaubte: „Schauen Sie sich Ihre grässliche Erscheinung an. Nein, ganz zu schweigen davon, dass Sie nicht einmal einen einzigen Untergebenen haben. Wer würde so viele Leute brauchen?“

„Ich habe zwar keinen einzigen Untergebenen, aber ich habe einen Neffen.“

Kaum hatten die Worte Tianlang-Juns Mund verlassen, schoss ein grüner Schatten durch die Höhle. Zhuzhi-Lang stellte sich schweigend vor Tianlang-Jun und schirmte ihn ab.

Aus irgendeinem Grund strahlten sowohl dieser Herr als auch dieser Diener einen Hauch von Elend aus. Da Tianlang-Juns Tau-Pilzkörper für dämonische Energie ungeeignet war, hatte er sich bis zu dem Punkt verschlechtert, an dem er auseinanderfiel. Das war verständlich. Zhuzhi-Langs Augen waren jedoch ebenfalls gelb geworden und sein Hals, seine Wangen, seine Stirn, seine Arme — so ziemlich jeder Teil von ihm, der freigelegt war — war jetzt von Schuppen übersät. Das Ergebnis war unheimlich und beängstigend und erinnerte zutiefst an seine Halb-Mensch-Halb-Schlangenform in der Höhle vom Bai Lu-Wald.

„Gipfelherr Shen“, krächzte er.

„Ja, ich bin es“, sagte Shen Qingqiu, „Wie kam es nur dazu, dass Ihr so geworden seid?”

„Und welche tiefe Verbindungen hast du diesmal zu dieser Person, Shidi?“, fragte Yue Qingyuan, gefasst wie immer.

Tiefe Verbindungen? Die Situation war nur unter dem starken Engagement dieser besagten Person zu ihrem jetzigen Zustand gekommen. Shen Qingqiu wollte etwas sagen, als Tianlang-Jun sein Kinn hob und Yue Qingyuan mit zusammengekniffenen Augen betrachtete.

„Ich erinnere mich an Euch.“

Nachdem er ein wenig nachgedacht hatte, sagte er überzeugt: „Damals wollte der alte Knacker des Huan-Hua-Palastes, dass Ihr ihm bei dem Hinterhalt helft, aber Ihr habt ihn ignoriert. Ihr seid also der aktuelle Sektenanführer vom Cang-Qiong-Berg? Nicht schlecht.“

„Das Gedächtnis Ihres verehrten Selbst ist auch ziemlich gut.“

Tianlang-Jun kicherte und lächelte, dann seufzte er: „Wenn Sie auch über zehn Jahre lang in einer pechschwarzen Dunkelheit gefangen gewesen wären, unfähig, den Himmel oder die Sonne zu sehen, mit nichts, um die Tage zu verbringen, außer um sich an vergangene Angelegenheiten zu erinnern, wäre Ihr Gedächtnis auch ziemlich gut.“

Diesmal antwortete ihm niemand. Yue Qingyuan packte Xuan Su und schlug dann mit dem Schwert in der Scheide auf Tianlang-Jun ein.

Tianlang-Jun konnte gerade noch ausweichen. Mit einem grollenden Gebrüll brach auf der Stelle die halbe Höhlenwand hinter ihm zusammen und öffnete ein großes Loch. Draußen war nichts als der Himmel, während wirbelnder Sand und lose Felsen in einem langsamen Tanz in die Tiefe stürzten. Kalte Luft strömte in die Höhle hinein, während feine Schneeflocken in einem Schautanz dahintrieben und die Augen blendete. Vom zugefrorenen Fluss, dreihundert Meter unter ihnen, konnte man schwach Welle um Welle bestialisches Heulen und Schlachtgeräusche hören. Die erste Welle südlicher Grenzdämonen war bereits angekommen.

„Lasst mich raten: Der Bai-Zhan-Gipfel kämpft wieder als Vorhut. Liege ich richtig?“, fragte Tianlang-Jun.

Die Dutzenden von Menschen am Tatort zerstreuten sich und stürzten sich dann von verschiedenen Seiten auf ihn. An der Spitze des Angriffs schwang Wu Wang seinen Stab mit wilder Kraft, seine Bewegungen waren bösartig. Obwohl Xuan Su Zhuzhi-Lang langsam zurückdrängte, zog er dennoch pflichtbewusst die Hauptlast der Angriffe auf sich. Tianlang-Jun saß weiterhin völlig entspannt auf seinem Stein.

„Ich erinnere mich, dass Ihr an diesem Tag auch bis zum letzten Moment gewartet habt, um Euer Schwert zu ziehen“, sagte er zu Yue Qingyuan. „Macht Ihr das jetzt auch?”

Yue Qingyuan antwortete nicht. Er war kurz davor, einen Handflächenschlag auf Zhuzhi-Lang zu landen, dem dieser weder auswich, noch sich zurückzog und den Schlag frontal einstecken wollte. Aber es war der Sektenanführer, der stattdessen schrie.

Shen Qingqius Pupillen zogen sich zusammen: „Fass ihn nicht an!“, schrie er, „Sein Körper ist giftig!“

Im Chaos der Schlacht waren mehrere Menschen vergiftet worden, während mehrere andere durch die Explosionswellen von dämonischem Qi und spiritueller Energie aus der Höhle geschleudert worden waren. Sie rasten in die Höhen hinaus und stürzten in die Tiefe, bevor sie es schafften, sich wieder auf ihre Schwerter zu stürzen und so wieder Fuß zu fassten.

Shang Qinghua schlich sich heimlich zu Shen Qingqius Aufenthaltsort. Zhuzhi-Lang war von der Aufregung des Kampfes überwältig und als er eine verdächtige Gestalt davonschleichen sah, schleuderte er, ohne nachzudenken, zwei grüne Schlangen auf sie. Shen Qingqiu sah alles ganz klar. Er drehte seine Hand um, bereit, ein Blatt auszusenden, um 'den großen Meister' Flugzeug das Leben zu retten — als die beiden Schlangen plötzlich mitten in der Luft von einem messerscharfen Eisdolch durchbohrt wurden.

Mobei-Jun erschien wie ein Gespenst im Kampfkreis. Er hob Shang Qinghua hoch, schleuderte ihn in Shen Qingqius Richtung wie ein kleines Küken und schlug dann mit seinen Fäusten auf Zhuzhi-Lang ein.

In den folgenden zehn Sekunden wurde Shen Qingqiu Zeuge, wie eine echte 'Abreibung' aussah …

Mit Zhuzhi-Lang unter Mobei-Juns verrücktem und unerbittlichem Angriff wurden die Angriffe auf Tianlang-Jun plötzlich heftiger.

Obwohl Tianlang-Jun ein Arm fehlte und er nun gegen viele antreten musste, ließ seine Haltung überhaupt nicht nach.

„Hah, warum seid ihr wieder so? Sich gegen eine Person zu verbünden — denkt ihr wirklich, dass ein Sieg, der durch ungleiche Vorteile errungen wurde, euch wahrlich unsterblich macht?“

Ein Sektenanführer griff ihn an: „Gegen ein bösartiges und dämonisches Monster wie Sie, das die Welt brennen sehen will? Von welcher Moral kann man da schon sprechen?!“

Im nächsten Moment platzte der Schädel dieses Sektenanführers auf wie eine Knoblauchzehe und wurde in mehrere Stücke zerrissen.

Tianlang-Jun zog seine Hand zurück und lächelte: „Ehrlich gesagt trug ich anfangs keine Bosheit in mir, noch fand ich Spaß an der Idee, dass die Welt brennt. Ich bin nur gelegentlich über die Grenze gekommen, um hier Lieder zu singen oder Bücher zu lesen — es war ganz nett. Ich lebte bereits zu diesem Zeitpunkt seit so vielen Jahren unterhalb des Bai Lu-Berges. Wenn ich also jetzt nicht etwas ähnliches, wie das in Euren Gedanken vorkommende Verhalten bis zum Schluss ausführen würde, würde ich meine Umstände wahrlich ein wenig zu ungerechtfertigt finden.“

Yue Qingyuan schnippte mit den Fingern. Xuan Su sprang drei Zoll aus seiner Scheide, seine spirituelle Energie brodelte.

Die Knochen von Tianlang-Juns Körper knackten und ploppten, fast so, als wären seine Gelenke ausgerenkt worden. Er machte ein überraschtes Geräusch: „Wie man es von einem Sektenanführer erwartet. Nicht schlecht. Euer Meister war ziemlich mittelmäßig, hatte aber durchaus ein Auge für Schüler und Nachfolger.“

Dann streckte Tianlang-Jun die Hand aus und griff direkt nach Xuan Sus Klinge, als ob er nichts fühlen könnte: „Aber warum es nicht ganz ziehen?“, sagte er mit einem Lächeln, „Mit so wenig können Sie mir nichts anhaben.“

Yue Qingyuans Blick verhärtete sich und Xuan Su sprang einen weiteren halben Zoll aus seiner Scheide.

„Er kann Ihnen nichts tun“, sagte Luo Binghe plötzlich und kalt, „Aber was ist mit mir?“

Tianlang-Juns Lächeln war noch nicht ganz verblasst, als plötzlich ein Strahl mächtigen dämonischen Qis wie ein Axtschlag in ihn einschlug.

Sein verbleibender Arm wurde von seinem Körper weggesprengt, dann wurde er von einem Windstoß aus der Höhle gepeitscht und auf dem Weg nach unten vom Mai Gu Rücken weggeschleudert.

Luo Binghe hatte endlich Maßnahmen ergriffen!

In diesem Vater-gegen-Sohn-Rückkampf war Tianlang-Jun schließlich an der Reihe, machtlos zu sein, und sich nicht wehren zu können. Luo Binghes Augen waren feuerrot, sein Gesicht angespannt und seine Angriffe waren rücksichtslos, ohne die geringste Spur von Gnade. Mit zwei abgetrennten Armen  sah Tianlang-Jun sogar aus, als wäre er überwältigt und in eine Ecke gedrängt worden.

In der Zwischenzeit war es Zhuzhi-Lang nach vielen Schwierigkeiten gelungen, sich von Mobei-Jun zu befreien. Sein Gesicht war voller Blut, aber als er seinen Meister in Schwierigkeiten sah, stürzte er sofort hinüber, als wäre ihm der ganze Blutverlust zu Kopf gestiegen. Genau in diesem Moment fegte Tianlang-Juns dämonisches Qi über Wu Wang hinweg, ließ ihn fliegen, während Blut aus seinem Mund spritzte, und Meister Wu Chen rannte los, um ihn aufzufangen. Zhuzhi-Lang wollte gerade gegen ihn prallen, als Shen Qingqiu diese unglückliche Wendung sah und vor Wu Chen erschien und ihn abschirmte.

Sobald Zhuzhi-Lang Shen Qingqiu sah, blitzte ein Hauch von Klarheit durch seine leuchtend gelben Augen und er bremste abrupt, verlor dabei sein Gleichgewicht, während er taumelte und beinahe hinfiel. Gerade als er um Shen Qingqiu einen Bogen machen und ihn umrunden wollte, um Tianlang-Jun zu helfen, wurde er schwer gegen die Höhlenwand geschleudert — er war durch die Brust auf die Felsen aufgespießt worden.

Die lange, schlanke Klinge in seiner Brust gehörte Zheng Yang.

Shen Qingqiu drehte seinen Kopf, um zu sehen, wie Luo Binghe langsam seine Hand zurückzog. Tianlang-Jun stand ruhig etwa sechs Meter hinter ihm.

Nach kurzer Zeit fiel er elegant zu Boden.

Schweigen.

Es war vorbei?

So einfach?

Ein Teil von Shen Qingqiu konnte es nicht glauben. Er hatte kaum etwas getan und es war vorbei? Er klopfte Shang Qinghua auf die Schulter: „Hattest du nicht gesagt, dass Tianlang-Jun schwer werden würde?“

Shang Qinghua befand sich immer noch in einem Schockzustand: „Er ist schwer.“

„Ist dieser Sieg logisch?“

„Egal, wie hart der Gegner ist, er sollte nicht daran denken, seine Macht vor dem Protagonisten zur Schau zu stellen. Ist das nicht die weitverbreitete Logik?“

Die beiden sahen sich um. Sie waren mit Dutzenden von Leuten mit vollen HP-Balken gekommen und jetzt standen kaum noch zwei oder drei auf den Beinen. Shen Qingqiu sah sich dann die beiden Personen an, die er zuvor als das superharte Endgegnerteam angesehen hatte. Einer hing aufgespießt an der Wand und war mit frischem Blut getränkt worden, während der andere flach auf dem Boden lag. Zusammen passten sie hervorragend zu den Beschreibungen von 'zertrampelte und zerfetzte Puppe' und 'eine Puppe mit durchtrennten Fäden'.

Er verspürte nicht die geringste Erheiterung, die man normalerweise bekommt, wenn man einen Endgegner besiegt hatte. Je mehr er hinsah, desto mehr hatte er das Gefühl, dass es im Grunde dasselbe war, als würde man kranke ältere Menschen schikanieren oder sich schamlos gegen die Opfer verbünden und dabei die zahlenmäßig überlegene Stärke einsetzen … und sie hatten sich tatsächlich gegen diese beiden verbündet.

Aber wer hätte ahnen können, dass dies das Ergebnis sein würde? Die Stärke des Endgegners lag viel zu weit unter dem, was er sich vorgestellt hatte!

Luo Binghe drehte sich um, sein Gesichtsausdruck war ruhig und kein einziger Tropfen Blut haftete an ihm: „Sollen wir ihn töten?“

Er bezog sich auf Tianlang-Jun. Als Zhuzhi-Lang dies hörte, griff er nach Zheng Yangs Klinge und bemühte sich, sie herauszuziehen. Ein großer Teil der Schuppen an seinem Hals war im Kampf abgeschlagen worden. Während er sich jetzt anstrengte, floss Blut in Strömen aus seinem Körper.

Seit Shen Qingqiu von Gongyi Xiaos Tod durch Zhuzhi-Langs Hände erfahren hatte, befand sich ein Knoten in seinem Herzen. Aber dieses Bild war zu unerträglich — es war schwierig, keine Sympathie zu empfinden. Obwohl Shen Qingqiu durch ihn unzählige Male mit seinen bizarren Rückzahlungsmethoden hinters Licht geführt worden war, hatte Zhuzhi-Lang ihm gegenüber nie Bosheit gezeigt.

Shen Qingqiu seufzte: „Schaut euch den Zustand an, in dem ihr euch befindet. Warum lasst ihr es zu so zu leiden?“

Zhuzhi-Lang hustete einen Schwall schaumiges Blut und krächzte: „In welchem Zustand bin ich denn?“, er lächelte bitter, „Was ist denn, wenn meine Erscheinung auf dem Bai Lu-Berg meine eigentliche wahre Form war? Was würdet Ihr dann denken, Unsterblicher Meister Shen?“

Es war, als hätte ein Blitz Shen Qingqius Stirn getroffen. Was?! Der schlängelnde Schlangenmensch vom Bai Lu-Wald, ... das war Zhuzhi-Langs ursprüngliche Gestalt?!

Zhuzhi-Lang schnappte nach Luft: „Meine Blutlinie ist niedrig, und das alles nur, weil mein Vater eine einfältige Riesenschlange war. Ich hatte dieses Aussehen, halb Mensch, halb Schlange, seit meine Mutter mich geboren hatte. Bis ich fünfzehn war, wurde ich immer gehasst und ausrangiert, oder bin beleidigt und vertrieben worden. Wenn nicht mein Herr gewesen wäre, der mir geholfen hat, eine Menschengestalt anzunehmen, mich sogar geführt und unterstützt hat, dann hätte ich mein ganzes Leben als ein Monster verbracht, das sich nur auf dem Boden winden könnte.”

Er knirschte mit den Zähnen: „Mein Herr gab mir meine erste Chance, eine Person zu werden, und der Unsterbliche Meister Shen gab mir meine zweite. Vielleicht war es für euch beide nur eine Kleinigkeit. Nicht mehr als eine Anstrengung, wie einen Finger zu heben, aber für mich muss ich diese Gefälligkeiten zurückzahlen, selbst wenn sie mich Tausende von Menschenleben kosten würden ... Und der Unsterbliche Meister Shen fragt mich, warum ich es zulasse, so zu leiden'? Sagt mir, wo habe ich gelitten?“

Tianlang-Jun seufzte plötzlich: „Törichtes Kind. Warum sagst du ihm so viel?“

Obwohl er auf dem Boden lag, war seine Pose immer noch so anmutig wie immer. Hätte man die vom dämonischen Qi zersetzte Gesichtshälfte entfernen können, hätte er noch eleganter ausgesehen.

„Die Leute glauben immer, dass diejenigen von einer anderen Rasse auch ein anderes Herz haben“, sagte er gemächlich, während er nach oben starrte. „Auch die Person, die dir am Liebsten ist, kann dich im Handumdrehen täuschen. Außerdem war es immer nur dein einseitiger Wunsch, es ihm zurückzuzahlen. Egal, was du sagst, er wird dich nicht verstehen. Er wird es nur als lästig empfinden und sich weigern, das zu begreifen. Warum also so viel sagen?“

In diesem Moment verstummten alle am Tatort.

Einst als ein guter und argloser junger Mann hatte sich Tianlang-Jun freudig verliebt, doch es war nichts weiter als eine Täuschung gewesen. Dann war er unzählige Tage und Nächte unter einem hohen Berg versiegelt gewesen, wo es weder Sonne noch Himmel gab. Wer hatte das Recht, ihn daran zu hindern, sich über sie zu ärgern? Wer hatte das Recht, ihn dazu zu bringen, 'es loszulassen' und 'auf die positive Seite zu schauen'?

Doch Meister Wu Chen sagte: „Wenn Ihr herausragendes Selbst damals wirklich keine böswilligen Absichten besaß, dann sind wir schuld, weil wir Verleumdungen zugehört haben“, er brachte seine Handflächen zusammen, „Aber selbst als sie Gift eingenommen hatte, wollte Wohltäterin Su Euch sehen, also wie könnt Ihr sie dafür verurteilen, dass sie Euch betrogen hat?“

Tianlang-Jun erschrak ein wenig, dann hob er den Kopf.

Shen Qingqiu war ebenfalls fassungslos. Er wusste, dass Meister Wu Chen niemals lügen würde, doch die Version der Geschichte, die er als Nächstes erzählte, war völlig anders als die, von der die anderen dachten, dass sie wahr war.

„Damals im Zhao-Hua-Kloster“, sagte Meister Wu Chen, „konnte dieser Mönch, weil er Wohltäterin Su nicht kritisieren wollte, nachdem sie bereits gestorben war und weil dieser Mönch versprochen hatte, es geheim zu halten, nicht die Wahrheit sagen. Der alte Palastmeister brachte Wohltäterin Su mit Gewalt zurück in den Huan-Hua-Palast. Sie weigerte sich absolut, seinen Befehlen zu gehorchen. Weigerte sich, Euch dazu zu bringen, zum Ort des Hinterhalts zu gehen, wo mehrere Dutzend Felder im Voraus aufgestellt worden waren. Der alte Palastmeister entdeckte ihre Schwangerschaft erst, als er sie im Wassergefängnis der Folter aussetzte. Eine gewaltsame Abtreibung des Fötus hätte ihr Leben gefährdet und obendrein wehrte sich Wohltäterin Su mit aller Kraft. Also gab ihr der alte Palastmeister eine Schale mit Gift, diesem tödlichen Gift für die Dämonenrasse. Er sagte ihr, solange sie bereit sei, es zu trinken, würde er sie zu Euch gehen lassen. Wohltäterin Su trank, was ihr der alte Palastmeister gegeben hatte und verließ dann allein den Palast. Aber sie wusste nicht, dass die Veränderung nur einen Augenblick dauerte — die Situation war bereits anders, als sie gedacht hatte. Der alte Palastmeister hatte den Ort des Angriffs auf den Bai Lu-Berg verlegt, wo Ihr euch in der Vergangenheit mit ihr getroffen hattet.“

Tianlang-Jun war völlig fassungslos. Sein Körper war verstümmelt und seine Mundwinkel waren immer noch blutbefleckt. Verzweifelt bemühte er sich, den Kopf zu heben, als wollte er dadurch mehr verstehen. Es lag eine unbeschreibliche Erbärmlichkeit in ihm.

„Dieser Mönch traf die Wohltäterin Su auf der Straße zum Bai Lu-Berg. Damals war es noch nicht lange her, seit sie das Gift getrunken hatte. Sie war voller Blut und es tropfte bei jedem Schritt, den sie machte. Dieser Mönch hörte sich die wenigen Zeilen an, die sie hervorbrachte und erriet die allgemeine Situation. Unfähig, sie zu täuschen, sagte er ihr, dass Tianlang-Jun bereits einige Tage zuvor für alle Ewigkeit versiegelt worden sei. Erst da wurde ihr klar, dass ihr Meister ihr eine ungeheuerliche Lüge erzählt hatte. Nicht nur der Ort, sondern sogar die Zeit waren falsch gewesen. Alles nur, um sie dazu zu bringen, dieses Gift zu trinken! In Übereinstimmung mit ihren Bitten half ihr dieser Mönch, den Schülern des Huan-Hua-Palastes auszuweichen, die gekommen waren, um sie zu fangen, und eskortierte sie dann zum Oberlauf des Luo Flusses. Danach hat er nie wieder eine Spur von Ihr gesehen. Tianlang-Jun, Wohltäterin Su war vielleicht wirklich kein ganz guter Mensch. Ursprünglich stand sie als nächste Huan-Hua-Palastmeisterin hoch im Kurs, mit hohen Erwartungen an sie. Am Anfang war ihre Entscheidung, sich an Euch zu wenden, möglicherweise nicht in guter Absicht getroffen worden. Aber was war es danach? Habt Ihr sie böswillig verhext? Hat sie Euch reingelegt und betrogen? Oder konntet ihr beide eure Gefühle einfach nicht kontrollieren? Dieser Mönch hier ist ein Außenseiter, also kann er nichts von Ihrem Herzen wissen. Aber was er weiß und was er gesehen hat, war Wohltäterin Su, die sich weigerte, auf die Befehle des Meisters zu hören, der sie über ein Jahrzehnt lang aufgezogen hatte. Selbst als sie im Wassergefängnis gequält wurde, weigerte sie sich, etwas zu sagen. Weigerte sich, Euch auszutricksen oder Ihnen Schaden zuzufügen. Wenn nicht als letzten Ausweg, welche Mutter auf dieser Welt würde diese Art von Gift trinken? Es war nicht so, dass sie Euch nicht mochte, sondern dass sie alternativlos war. Doch die Welt ist erbärmlich und so seid ihr aneinander vorbeigegangen …“

Tianlang-Juns Lippen schienen leicht zu zittern. Ein langer Moment verging. Dann sagte er: „Ist das so?“

Gleich nach diesen drei Worten fragte er erneut: „Wirklich?“

„Dieser Mönch schwört bei seinem Leben, dass seine Worte keine einzige Unwahrheit enthalten“, sagte Meister Wu Chen.

Tianlang-Jun drehte seinen Kopf, um Shen Qingqiu und Yue Qingyuan anzusehen. Als wollte er Bestätigung suchen, fragte er: „Wirklich?“

Es kümmerte ihn nicht einmal, ob jemand Bescheid wusste. Er fragte nur jeden, den er fragen konnte. Yue Qingyuan konnte nichts sagen und senkte schweigend den Kopf. Es war unklar, was er dachte. Shen Qingqiu dachte weiter darüber nach und nickte schließlich langsam.

Vielleicht hatte der alte Palastmeister ursprünglich nicht die Absicht gehabt, Tianlang-Jun zu verleumden und ihm Schaden zuzufügen, aber als er sah, wie seine Schülerin ihm immer näherkam, musste er es bereut haben, Su Xiyan geschickt zu haben, um sich dem Dämon zu nähern. Er hatte Ihr erlaubt, seine Kontrolle zu verlassen und sich in Tianlang-Jun zu verlieben und sogar Luo Binghe zu zeugen. Der alte Palastmeister hatte also seine Entscheidung getroffen. Er hatte die Wahrheit verdreht und nur die Details ausgewählt. Seine Instrumentalisierung hatte Tianlang-Jun in einen unvergleichlichen Teufel verwandelt, der die Drei Reiche stürzen wollte.

Und so hatte er so viele Leben und so viele Jahre ruiniert.

Die Schneeflocken auf Tianlang-Juns Wimpern zitterten bei seiner Bewegung. Dann, als ob ihn plötzlich alle Kraft verlassen hätte, legte er sich noch einmal hin. Er seufzte: „In Ordnung. Auf jeden Fall entfaltet sich am Ende etwas weniger Schreckliches.“

Shen Qingqiu drehte seinen Kopf, um Luo Binghe anzusehen. Er hatte von Anfang bis Ende zugehört, aber es war, als hätte er überhaupt nichts gehört. Als ob ihn das alles nichts betreffen würde — er stieß sogar ein leises Lachen aus.

Nachdem diese Wahrheit ans Licht gekommen war, hatte sich der Knoten in Tianlang-Juns Herzen ganz natürlich gelöst. Aber für Luo Binghe hatte die Grausamkeit der Situation nicht im Geringsten nachgelassen. Egal, ob es war, weil seine Eltern ihn hassten oder weil sie ihn aufgegeben hatten, am Ende war er weggeworfen worden.

Schwarzer Rauch und violettes Miasma strömten ohne Unterbrechung aus Xin Mo und die Geräusche des Gemetzels von unten wurden immer deutlicher. Der Abstieg vom Mai Gu-Grat dauerte noch an. Wie weit war es noch, bis sie die gefrorene Oberfläche des Luo Flusses erreichten?

Yue Qingyuan machte mehrere Schritte auf die Stelle zu, wo Xin Mo in die Wand eingebettet war.

„Die Situation hat sich aufgeklärt“, sagte Shen Qingqiu, „Bereitet dem ein Ende, Tianlang-Jun.“

Wenn Tianlang-Jun jetzt aufhören würde, wäre es noch nicht zu spät. Aber wenn er Xin Mo weiterhin mit dämonischem Qi versorgte, dann wäre ihre einzige Möglichkeit, die Verschmelzung zu verhindern, ihn zu töten. Und nun, da alles gesagt und getan war, wünschte sich Shen Qingqiu nicht unbedingt, dass Tianlang-Jun tatsächlich starb. Schließlich war es wirklich unglücklich, in solch einem Zustand zu landen, weil die Liebe gescheitert war. Um sein Leben obendrein zu fordern ...

Was ist das für ein Gegner? Erbärmlich?!

Doch Tianlang-Jun stieß plötzlich ein unterdrücktes Lachen aus, das durch die Höhle hallte: „Schaut mich an, Gipfelherr Shen“, sagte er und legte den Kopf schief, als fände er etwas unglaublich Lustiges, „So wie ich bin, kann ich nicht einmal mehr Zhuzhi-Langs menschliche Gestalt aufrechterhalten.“

In diesem Moment erkannte Shen Qingqiu die Bedeutung von Tianlang-Juns Worten noch nicht. Es schwankte nur etwas in seinem Herzen.

„Nachdem ich so lange mit euch allen gekämpft habe, war der Tribut an meinem Körper keine Kleinigkeit“, sagte Tianlang-Jun, langsam und bedächtig, „Wer, glauben Sie, hat Xin Mo die ganze Zeit am Leben erhalten und mit dämonischem Qi versorgt?“

Seine Worte waren weder schnell noch langsam, aber als sie Shen Qingqius Ohren erreichten, schien jedes einzelne ihn in eisiges Wasser zu stürzen und sein Nacken versteifte sich langsam.

„Ihr solltet jemand anderem sagen, dass er dem ein Ende bereiten soll, ja. Nur bin diese Person nicht ich.“




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2 Kommentare:

  1. Wie sie sich so schön aufteilen mit denh aufgaben.
    Aberkönen blicke töten, auch wie gut die Ohren von dennen sind.

    Mein Herz hat gefüllt aufgehört zu schlagen, nach dem Shen Qingqiu fragte, wer zu wem und Luo Binghe dann meinte: Und Shizun gehört zu mir - Dickes grinzen im Gesicht <3

    xD Zangen Shen Qingqiu und Shang Qinghua echt wer zu erst sterben sollte.Nein i am Lost.

    Ich stehl mir das nun so vor - Mini Luo Binghe der an der Robe seines Shizun zieht nur damit sie auf einem Schwert ZU ZWEIT sind- Göttlich.
    Und dieses Schüchteren art ulala - Lass doch die Hand nicht los >o<, da tut mir Luo Binghe leid, genau was sollen die sagen. Yue scheint ja eher auf deiner Seite zu sein Shen Qingqiu also los weiter händchen halten.

    Klar hab nen hauptcharakter dabei - es geht nichts schief XD dieMonster ergreifen von sich aus die Flucht haha - Dachte ich da kickt Mobei-Jun Shanq Qinghua nach vorne...Ich will ja nichts sagen aber nenOpfer muss es immer geben oder? - Hatte ich das gefühl das Shen Qingqiu echt unterbrochen wurde als er zuschlagen wollte? Wie dreist is das den bitte.....

    Dachte ich aber nach dem Schlag abtauscht - Das ging verdammt fix, echt Easy.... Kann nicht jeder Boss Fight so sein? - Ja? - Danke

    Zhuzhi-Lang tut mir schon etwas leid.... q_q ja tragische Hintergund characktere liebt man irgendwie doch ja..... Das Drama hörte nicht auf. Nun Drama geschichte von Luo Binghes Mutter - und uff binh ich froh das derAlte Palastmeister schon tot ist? Ja bin ich.

    Dieses Ende vom Kapitel. Shen Qingqiu, sieh zu das du Luo Binghe in den ARM NIMST aber dalli.

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    1. Die Stelle in der Luo Binghe sagt: "Und Shizun gehört mir." Liebe ich auch über alles. Ich denke mir, dass Luo Binghe deswegen immer und vor jedem Shen Qingqiu seine Gefühle gesteht liegt daran, dass als er es nicht getan hat (damals im Wassergefängnis) Shen Qingqiu abgehauen ist und das schlussendlich zu seinem Tod geführt hat. Da er auf jeden Fall vermeiden will, dass dies nochmal passiert will er das sein Shizun sich seiner Gefühle für ihn und seiner Motive voll und ganz bewusst ist.
      Luo Binghe nutzt aber auch jeder Gelegenheit um Zweisamkeit mit seinem Shizun zu erleben. XD
      Nichts greift Luo Binghe, weil ihn nichts Töten kann, also ersparen sie sich die Schmerzen des Kampfes und die Demütigung einer Niederlage. Eigentlich ein ziemlich kluger Schachzug von den Monstern.
      Shang Qinghua ist so was von Mobei-Juns Prügelknabe und trotzdem bleibt er bei ihm. Das ist gefühlt eine echte Sado-Maso Beziehung, dass muss sich aber nicht auch auf den erotischen Bereich beziehen. ;)
      Luo Binghe in einem Kampfspiel zu spielen wäre bestimmt mega easy, seine Schwachstelle wäre dann wohl, wenn Shizun ihn nicht beachtet sinkt deine Schlagkraft gleich um mehrere zehn Prozent oder so.
      Ja, Zhuzhi-Lang tut mir auch sehr leid. Er wollte einfach immer nur seinem Retter in der Not helfen, doch der nahm seine Hilfe nie an.
      Der alte Palastmeister, ich hasse ihn. Nicht nur, dass er Pädophil ist, nein, er stürzt auch noch diejenigen ins Unglück, die seine Schülerin wirklich glücklich machen könnten.
      Nur glaube ich, dass ihn den Arm nehmen Luo Binghe nicht ausreichen wird.

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